Benutzen und (Miss-)Brauchen

Im Moment bin ich sehr nachdenklich, was Freundschaften, Partnerschaften oder Bekanntschaften angeht. Ich habe das Gefühl, dass einige meiner zwischenmenschlichen Beziehungen ungesund sind.  Es fühlt sich an, als befände ich mich in einem reißenden Strom voller Ertrinkender, die sich an mir festkrallen. An mir wird gezerrt und ich werde in Stromschnellen aus (Miss-)Brauchen und Benutzen hin und her gerissen.

Ich kenne dieses Gefühl bereits aus früheren Zeiten. Es hat Jahrzehnte gedauert, mich selbst dafür zu sensibilisieren, welche Freundschaften offen und echt oder doch nur benutzerdefiniert sind. Seit meiner Jugend zog ich Menschen an, die ihre Zeit nicht deshalb mit mir verbrachten, weil sie mich gern hatten oder schätzten, sondern weil sie mich brauchten. Sie benutzten meine Bedürftigkeit nach Aufmerksamkeit und auch Liebe für ihre Zwecke. Ich denke dabei gerade an die coolen Jungs aus meiner Schulzeit,  die mich besuchten und ich mir einbildete, sie kämen wegen mir. Dabei wurde es lediglich meine Aufgabe, ihre Hausaufgaben für den Russischunterricht zu erledigen.

Ja, ich war eine gute Gesellschaft für mein Umfeld. Mir konnte man alles erzählen. Ich zerbrach mir den Kopf an Lösungen für die Probleme anderer; übernahm die Umsetzung sogar. Mit mir konnte man Spaß haben und sich somit sehr gut von sich selbst ablenken. Es war leicht, mich in eine andere Richtung zu ziehen, obwohl mich mein Weg eigentlich ganz woanders hinführen sollte. Ich war nicht ich. Ich wurde die anderen. Einen Vorwurf kann ich ihnen daraus nicht machen, denn ich ließ es ja schließlich zu. Durch meine ständige Präsenz war ich wichtig, wurde beachtet und fühlte mich eben, fälschlicherweise, geliebt.

Es hat sehr lange gedauert, bis ich merkte, dass ich für diese Menschen nur eine Hülle war, an deren starken Haut man sich immer wieder festkrallen konnte. Dabei war ich doch mehr als diese leere Hülle. Ich war ein Mensch, eine Frau und so gar nicht leer und immer stark. Meine Seele schrie ungehört danach, wahrgenommen zu werden. Wer konnte mich sehen mit meinen Träumen und Wünschen?  Wen interessierten meinen Gedanken? Wer verstand, was ich fühlte? Ich ließ es zu, dass mir Jahrzehnte lang meine Lebendigkeit und Identität entrissen wurde. Dabei vergaß ich meine eigenen Sehnsüchte und Bedürfnisse. Verschob sie einfach auf später. Heute weiß ich, dass ich von Freunden, Bekannten und auch Männern nicht nur gebraucht, sondern auch für deren eigenen Unzulänglichkeiten und Bedürfnisse missbraucht wurde, weil ich für sie funktionierte.

Aber irgendwann erinnerte ich mich an mich. Um mich ans Ufer, heraus aus diesem fiesen Strom, zu retten, musste ich nur ein Wort lernen. NEIN! Nein sagen zu Menschen, die mir nicht gut tun. Nein sagen zu Menschen, die mich in ihrer kleinen dramatischen Welt einsperren wollen. Nein sagen zu Menschen, die versuchen, mich dorthin mitzuziehen, wo ich nicht hingehöre. Nein sagen zur Gesellschaft von Menschen, die mich auslaugt. Nein sagen zu jenen, denen egal ist, wer ich wirklich bin.  

Dadurch hat sich mein Umfeld natürlich enorm ausgedünnt. Ebenso schwer ist es mittlerweile, sich in dieses hinein zu jammern. Das bedeutet nicht, dass ich Hilf- oder Ratlosigkeit anderer Menschen ignoriere. Ich reiche gerne meine Hand, um jemandem aufzuhelfen. Ich habe Verständnis für schwierige Lebenssituationen, schließlich erfahre ich sie ja auch selbst. Aber ich möchte keine Menschen mehr um mich haben, die ihre Eigenverantwortung mit ungehöriger Selbstverständlichkeit und Ignoranz meiner Bedürfnisse auf mich übertragen. Ich kann nicht mehr zulassen, dass jemand in mir den einfachsten Weg sieht, in seiner Komfortzone verharren zu können und mich benutzt oder (miss-)braucht, um unter seinem Problem, seiner Meinung, seiner Unzufriedenheit, seiner Trost-  und Leblosigkeit meine enorme Lebensfreude, Träume, Wünsche und auch Wege zu vergraben.

Deshalb muss ich auch jetzt wieder dem Strom der Ertrinkenden entsteigen, damit sie die Chance ergreifen, sich aus eigener Kraft zu retten. Und ich möchte währenddessen meine Zeit mit jenen verbringen, die mich nicht brauchen oder benutzen. Ich freue mich auf Menschen, die mich durch ihr Sein bereichern und für deren Leben unsere gemeinsame Zeit ebenfalls eine Bereicherung darstellt.

Denn, wie sagte vor kurzem eine mir unbekannte Frau so passend? „Ich musste lernen, dass ich mehr als nur eine Benutzeroberfläche bin.“ Und dem hab ich nichts hinzuzufügen.

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