Zu viel Nebel

Ich war mir so sicher, dass du unsere gemeinsame Zeit mittlerweile verdrängt, meine liebevollen Mitbringsel in deiner Wohnung entsorgt und sämtliche Fotos vernichtest hast. Ja, ich war davon überzeugt, dass du jede Erinnerung an mich (an uns) früher oder später auslöschen wirst. Hab ich doch selbst auch enormen Anlauf genommen, um ins große Vergessen zu rennen.

Seit wir uns das letzte Mal sahen und voneinander verabschiedeten, blieb nur eine riesige Nebelschwade zurück. Ich stand lange erstarrt in dieser undurchsichtigen Wolke aus Lügen, Fragen und Unausgesprochenem. Das Nichtgesagte war dabei am schwersten auszuhalten.

Nun räumte ich gestern unbedacht einen meiner Messenger auf dem Smartphone auf. Und plötzlich tauchte dein Name auf, geschmückt mit diesem kleinen runden Foto. Es ist ein Foto von einem unserer vergangenen Abenteuer. Sofort durchströmte der Duft von Sommer, das gleichmäßige Plätschern der Wellen und das Gefühl von gemeinsam gelebter Freiheit mein Zimmer. Jeder Raum, vom Wohnzimmer bis zur Küche, füllte sich augenblicklich mit dem Klang unserer Partys, auf denen wir beide nur zu zweit das Leben ausgelassen feierten. Aus dem Foto hallte unser Lachen und unsere Musik. Dort liegen sogar noch mein Handtuch und mein Pullover, so als wäre ich nur ganz kurz weg und käme gleich zurück. Als ich das Bild sah, war ich erschrocken und unsicher, ob ich schmunzeln oder weinen sollte. Du hast diese Bilder nicht entsorgt. Du hast nichts vergessen. So wie ich auch noch nicht.

Jedoch ist da diese undurchdringliche Nebelwand, die zwischen uns steht und durch die für keinen von uns ein Pfad zu finden ist. Mutige würden sich gewiss einfach hindurch trauen und all das, woraus sie besteht, auflösen können. Aber du bist genau so ein Feigling wie ich. Und so stehen sich nun wohl zwei mutlose erwachsene Kinder bockig gegenüber, getrennt durch so viel Ungesagtes und nicht wissend, wie es sich auf der anderen Seite dieser Wand anfühlt. Das ist irgendwie sehr schade und macht mich auch etwas traurig. Doch meine Angst vor dem Schritt in jene ungewissen Gefilde ist zu groß, als dass ich ihn gehen könnte. Angst vor diesem undurchsichtigen Schleier…

… durch den gestern für einen kurzen Moment unsere gemeinsame Lebendigkeit, unsere Nähe sowie unsere ungezügelte Lebensfreude noch einmal so herrlich laut zu mir durchdrang.

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