Ich halte mich schon für einen sehr empathischen und rücksichtsvollen Menschen. Ich kann zuhören, verstehen und mitfühlen. Aber seit einiger Zeit frage ich mich: Wo hört Rücksichtnahme auf und wo fängt dann die Selbstzerstörung an?
Google wurde von mir nach einer Definition des Wortes „Rücksicht“ befragt. Die Erklärung: „…umsichtiges Verhalten, bei dem man die Bedürfnisse und Wünsche anderer Menschen beachtet“. Danke Google! Aber was ist mit meinen eigenen Befürfnissen und Wünschen? Wie weit kann und muss ich Rücksicht nehmen?
Ist es wirklich noch okay, wenn ich aus lauter Rücksicht ersticke, weil ich nicht mehr sage, was durch mich gesagt werden will, wenn ich platze, weil ich Gefühle, Emotionen und alles was durch mich fließt, nicht mehr zeigen, nicht mehr hinauslassen und leben kann? Muss ich mein Feuer löschen und mein Licht dimmen, weil sich andere sonst daran verbrennen oder geblendet werden? Ist es richtig, wenn ich stagniere, weil mein Weitergehen Menschen enttäuschen würde? Wo bleibe ich selbst, wenn dieses Leben mich immer wieder anschubst und sagt: „Hey du… tu, was du tun musst, sag, was du zu sagen hast, fühle, was da ist und lebe, was geschieht.“ und ich mich immer wieder dagegen wehre, weil ich ja rücksichtsvoll zu sein habe?
Rücksicht bedeutet, dass ich rücksichten muss. Ich soll ständig zurückschauen, wer mir folgt und wer gerade hinter mir geht. Jene könnten nämlich straucheln stolpern oder stürzen, wenn ich plötzlich die Richtung ändere, wenn ich springe, unerwartet anhalte oder auch selber zu Boden falle. Sie verlassen sich darauf, dass ich so funktioniere, wie sie es brauchen. Mein Weg, meine Worte oder auch mein Handeln darf ihre kleine selbstgefällige Welt, ihre sichere, bequeme und gemütliche Komfortzone und ihre festgefahrenen Vorstellungen von diesem Leben nicht durcheinanderbringen. Dabei gäbe es genügend andere Optionen. Sie könnten neben mir gehen oder mich überholen. Sie könnten auch eine andere Richtung einschlagen oder sogar umkehren. Sie müssen ihre Erwartungen nicht auf mich projizieren.
Nein, ich rede hier nicht von egoistischer Rücksichtslosigkeit oder von ignoranter Selbstgefälligkeit. Ich rede lediglich davon, (er)leben zu können, was durch mich gelebt werden will, davon, auszubrechen, wenn sich die Rücksicht auf andere nicht mehr gut anfühlt. Wenn sie weh tut, wenn ich mir damit selber im Weg stehe und wenn diese Rücksicht in mir zerrt und zieht.
Ich will niemanden verletzen, wenn ich rücksichtslos agiere. Deshalb werde ich mich erklären und verständlich machen, wie es sich in mir anfühlt und warum ich nun auch mal keine Rücksicht nehmen kann. Wer neben mir geht, wird meine Sicht mit mir teilen können und es verstehen. Wer aber stumpfsinnig hinter mir, seiner Erwartung, hinterherläuft und sich darauf ausruht, wird enttäuscht werden und kein Verständnis dafür aufbringen.
Und wer nicht einmal versucht, meine rücksichtsvolle Erklärung und mein Leben zu verstehen oder wenigstens zu tolerieren, kann von mir dann auch nicht mehr berücksichtigt werden.
Dann bin ich eben einfach mal rücksichtslos.