Wertlos

Da sitzt du nun vor mir, am Boden zerstört. Du wurdest allein gelassen – verlassen. Jetzt bist du unendlich traurig, dein Gesicht von den vielen Tränen gezeichnet. Es war doch alles schön und nichts davon soll mehr wahr sein. Es fühlt sich für dich ein wenig wie Sterben an und dein Leben steht still. Du stellst dir viele Fragen. Was habe ich falsch gemacht? War ich nicht mehr schön oder nicht mehr gut genug? Du zweifelst an dir selbst und fühlst dich einsam, schlecht und vor allem wertlos. Dieses Gefühl, es nicht mehr wert zu sein, geliebt zu werden, nichts richtig zu machen und nichts zu können, nicht einmal richtig zu lieben, nagt an dir.

Ich weiß, wie es sich für dich anfühlt. Der Körper krampft, die Tränen fließen unkontrolliert und jede kleine Erinnerung zerfrisst deine Seele. Ich verstehe dich, weil ich es genauso selbst schon erlebt habe. Das Schlimmste, was mir in so einer Situation mal passierte, war, dass ich aufhörte zu essen. Nur eine Kleinigkeit am Tag, mehr passte nicht in mich hinein, da der Kummer allen Platz in mir für sich beanspruchte. Ich konnte zwar überleben, aber nicht mehr leben. Drei Monate lang zeigte mir der Spiegel jeden Morgen ein schlimmeres Bild als am Tag davor. Ich sah es, konnte aber nichts dagegen tun. Es ging mir ähnlich wie dir, mit einem kleinen Unterschied. Ich hatte mir meinen Selbstwert und mein Selbstvertrauen bewahrt. Körperlich und seelisch zerbrach ich scheinbar, aber ich fühlte mich niemals schuldig und stellte mich selbst auch nicht in Frage. Natürlich reflektierte ich mich und schaute, welchen Part ich zu dem Ende dieser Geschichte beigetragen hatte. Aber selbst das zu erkennen, hätte nichts rückgängig machen können. Gesprochene Worte blieben gesagt und eventuell begangene und nun selbsterkannte Fehler blieben bestehen.

Weißt du, da kam ein Mensch in dein Leben, der dir seine Liebe und Aufmerksamkeit schenkte. Eine bestimmte Zeit passtest du genau in seine Vorstellungen. Er liebte deine Stärken, deine Schwächen, dein Lachen, deine Träume, deine Art und deinen Körper. Er hatte dich gern, so wie du warst. Vielleicht weil du anders warst, als er selbst, was ihn interessierte und faszinierte. Vielleicht aber fühltet ihr euch auch vom anderen angezogen und verstanden, weil ihr euch auf der gleichen Wellenlänge getroffen habt. Oder zeigtest du ihm eventuell doch Leben und Liebe in einer anderen Form, als er es kannte? Egal, was es war, er trug dich und deinen Wert, deinen Selbstwert, den du zu dem Zeitpunkt mit Sicherheit genau kanntest, auf Händen und setzte dich mit seiner Liebe auf einen Thron. Er machte dich dort noch schöner und selbstbewusster, noch kreativer, mutiger und sicherer, als du es ohnehin schon warst. Dieser Mensch holte mit seiner Liebe und mit der Zeit, die er an deiner Seite verbrachte, so viel mehr aus dir heraus, als du vielleicht jemals allein geschafft hättest.

Nun ist er gegangen und ließ dich dort zurück, wohin er dich begleitet hatte. Warum verlässt du aber freiwillig diesen Thron? Weshalb solltest du es nun nicht mehr wert sein, dort oben zu sitzen? Wegen ein paar zuletzt gesagter und vielleicht nicht mehr so schönen Worte? Wegen eines am Ende dieser Begegnung eventuell abwertenden und respektlosen Verhaltens? Nur weil du zum Schluss für ihn nicht mehr gut genug warst und weil er dich nicht mehr als das schätzte, was er früher mal in dir sah? Was verlierst du eigentlich, wenn jemand geht, der dich doch gar nicht mehr wirklich erkennt?

Du aber bist an dieser Begegnung gewachsen, egal wie kurz oder lang sie dauerte. Während dieser Zeit fühltest du dich groß, stark für das Leben und auch für die Liebe, die du großzügig geben konntest. Halte genau das fest! Sieh nicht, was er jetzt mit Worten und seinem Verhalten noch versuchte, dir zu nehmen, sondern bewahre dir das, was er dir in euren besten Zeiten gab.

Glaub mir, auch ich habe meinen Schmerz ins Kissen geschrien. Meine Traurigkeit tränkte tausende Taschentücher, Viele Warum`s zermürbten meinen Geist und die Sehnsucht nach dem Menschen, der mir plötzlich den Rücken zuwandte, zeriss mein Herz jede Nacht neu. Aber ich dachte nie daran, mich zu ducken, zu verstecken oder klein zu machen. Ich fühlte mich nie falsch oder wertlos. Er hatte mich strahlen lassen. Warum sollte ich selber dieses Licht nun dimmen? Du erinnerst dich an die schönen Tage? Dann erinnere dich bitte auch an das, was sie mit dir gemacht haben. Dann wirst du bemerken, dass Traurigkeit und Sich-Verloren-Fühlen Stück für Stück einer Dankbarkeit weichen. Ja, du wirst diesem Menschen irgendwann für das dankbar sein, was er dir gegeben hat und dafür, wie er dich verändert hat. Das kann seine Zeit brauchen. Nimm sie dir. Aber geh nicht von dort weg, wo du durch diese Begegnung hingeführt wurdest.

Und wenn genug Zeit vergangen ist, wirst du bestimmt mit der selben Dankbarkeit und voller Liebe jemandem hinterherschauen, den du weiterziehen und -suchen lassen musstest, weil er vergessen hatte, was er an dir einst so sehr liebte, achtete oder bewunderte…

… auch, dass er dich dabei sanft mit seiner Liebe und Wertschätzung auf einen Thron gehoben hatte.

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