Es gibt Geschichten im eigenen Leben, die man nie vergisst. Bei diesen Geschichten hat man seine selbstgesteckten Grenzen niedergetreten und Dinge getan, die man sich bis dahin selbst nie zugetraut hätte. Ich habe einige davon geschaffen, aber an die schönste erinnere ich mich immer noch mit einer Träne und einem Lächeln.
Vor fast drei Jahren verknallte ich mich in einen Mann, den ich im Internet kennengelernt hatte. Bereits bei den ersten Gesprächen am Telefon und in den geschriebenen Nachrichten loderte ein Wahnsinnsfeuer in mir auf. Das kannte ich so bis dahin überhaupt noch nicht. Es dauerte nicht lange und wir trafen aufeinander. Noch mehr Feuer, noch mehr Schmetterlinge. Dieser Mann machte etwas mit mir, was mich schwindlig werden ließ, ohne dass ich verstand, was mit mir passierte.
Er lebte nicht in meiner Nähe und er war die Woche über Lkw-Fahrer, was ständige Treffen schwierig machte. Uns blieb WhatsApp. Wir schrieben, wir telefonierten und teilten irgendwie übers Handy unser Leben. Ich liebte die Kuss-Smileys, die mehrmals am Tag einfach so, ohne weitere Worte, auf meinen Smartphone aufblinkten. Es brauchte diese Worte auch nicht.
Aber an irgendeinem Tag gab es einen Cut. Er schickte Sprachnachrichten und ich antwortete – wie immer. Irgendetwas war allerdings anders an diesem Abend. Plötzlich wurde es still. Er hatte mich auf seinem Handy blockiert. Ich weiß heute nicht mehr, was gesagt worden war. Mir war nur klar, ich konnte den Grund nicht mehr erfragen und erfahren.
In dieser Nacht war ich verzweifelt und ich weinte so viel. Was war passiert? Was hatte ich Falsches gesagt? Was hatte er Falsches verstanden? Ich wusste es nicht mehr. Gegen Morgen war der Entschluss gefasst, die Angelegenheit zu klären. Gegen sechs Uhr schrieb ich meinem Chef eine Nachricht, dass ich aus persönlichen Gründen dringend zwei Tage Urlaub bräuchte. Dann mobilisierte ich meine gesamte Familie in diesen frühen Morgenstunden, da ich dringend ein Auto und einen Fahrer dazu brauchte. Meine Schwester hatte das Auto und meine Tochter die Zeit. Also fand ich mich gegen acht Uhr auf der Autobahn und dem Beifahrersitz eines kleinen Kia Picanto wieder. Ich hatte mich auf den Weg zu diesem Mann gemacht, der mich irgendwo ca. 120 Kilometer weiter in einem Lkw, aus mir unerklärlichen Gründen aus seinem Leben gelöscht hatte.
Während der Fahrt fragte ich mich auf einmal, ob das, was ich gerade tat, schlau war. Ob meine Kurzschlusshandlung nicht total bescheuert wäre? Was würde mich erwarten? Wie würde er mir gegenübertreten? Ich wollte umkehren, denn ich hatte plötzlich Angst vor der Konfrontation. Aber wir kehrten nicht um. Ich war so wahnsinnig verliebt und wollte uns, unsere wunderbare Begegnung retten. Ganz gleich, welche Bauchschmerzen mich plagten, während die Welt rasend schnell an der Straße an mir vorbeirauschte. Ich hatte nur noch eine einzige Frage und wusste, die richtige Antwort würde dieses dämliche Problem, was immer es auch war, aus der Welt schaffen. Die falsche Antwort auch, nur anders.
Wir erreichten diesen Parkplatz, einen riesigen Parkplatz, menschen- und fahrzeugleer. Als wir ihn befuhren, stand da nur SEIN Lkw. Meine Tochter hielt unser Auto ungefähr 50 Meter von ihm entfernt an. Das große und das kleine Auto standen sich nun in der Sonne gegenüber. Er stieg nicht aus. Ich stieg nicht aus. Stille. Nur zwei Fahrzeuge, die sich anstarrten. Ich haderte mit mir und meiner Entscheidung. Aber da war meine Frage, die nach einer Antwort verlangte. Deshalb nahm ich all meine Kraft zusammen, atmete tief durch und ging los. Dieser Weg vom Kia zum Lkw wurde unendlich und ich fühlte mich so allein auf diesem weiten Weg.
Als ich vor der Fahrertür des Lkw stand, schaute mich dieser Mann, für den ich gerade vor Aufregung zu sterben schien, aus seinem Fenster an und sagte ohne ein Lächeln: „Du bist aber mutig.“ Dann stieg er aus und begann einen Monolog abzuhalten. Ich weiß nicht, was er mir vorwarf, was er entrüstet und erbost sagte. Er feuerte Wortsalven auf mich ab, die ich nicht verstehen konnte. Ich fühlte mich wie ein kleines Mädchen, dass nur in den Arm genommen werden wollte. Und ich stellte viel zu leise meine Frage, die einzige, die ich hatte. „Hast du mich noch lieb?“ Keine Antwort. Stattdessen weiter laute Begründungen und versuchte Erklärungen. Sie waren mir nicht wichtig. Deshalb fragte ich nochmal, diesmal etwas lauter: „Hast du mich noch lieb?“ Wir standen uns zwischen dem großen und dem kleinen Auto gegenüber, allein auf diesem übergroßen Parkplatz, und ich wartete auf die Antwort. Die, die doch jedes Problem nichtig werden lassen sollte. Nachdem ich meine Frage ein drittes Mal und nun richtig laut zwischen seine Wortfetzen geworfen hatte, schaute er mich einige Sekunden lang schweigend an und sagte dann leise: „Na klar hab ich dich lieb.“
Als er mich dann endlich einfach nur in den Arm nahm und meine Tochter dieses in 50 Meter Entfernung mit einem Hupkonzert begleitete, war die filmreife Szene perfekt. Und sie hatte für diesen Moment sogar ihr Happy End. Denn ich war mir sicher, dass kein Problem und kein Missverständnis dieser Welt mächtiger als unsere verdammt große Liebe sein konnten.
Ich hatte mich getraut, hatte jeden Stolz beiseite gelegt und mich mutig in die Schlacht begeben. Ich hatte mich selbst und den Mann, der mir so wichtig war, mit mir und meiner Entschlossenheit überrascht.
An diesem Tag schlief ich in einem Lkw auf einem leeren Parkplatz neben einem Mann ein, der mich ganz fest hielt und mir dabei ins Ohr flüsterte: „Das hat noch nie eine Frau für mich getan.“
Ich schwieg, streichelte über seinen Arm und fragte mich erstaunt: Warum eigentlich nicht! Warst du es noch nie jemandem wert?
Oder hat dich nur noch nie jemand so verrückt wie ich geliebt?