Wenn das Leben meinen Plan ignoriert

Als ich heute früh aufstand, hatte ich einen Plan. Nachdem ich, als Inbegriff eines Morgenmuffels, zu mir gefunden und mich an meinen Namen erinnert hatte, wollte ich so richtig loslegen. Die Weihnachtsdeko sollte weggeräumt, die Wohnung gesaugt und der Kühlschrank aufgefüllt werden. Außerdem stand seit dem zweiten Weihnachtstag immer noch der alte Drucker, welcher einem neuen weichen musste, im Zimmer herum und sollte endlich in den Keller gebracht werden. Mein Plan stand. All das würde ich heute endlich tun.

Dann schüttelte das Leben allerdings frech den Kopf: „Nö, wir machen das heute anders.“ und schickte prompt dich zu mir.

Wir trafen uns im vergangenen Sommer und wir verloren uns im selben auch wieder. Wir hatten uns so viel gegeben und uns einander selbst wieder genommen. Wir standen lichterloh in Flammen, doch irgendetwas löschte dieses Feuer wieder. Allerdings hatte sich das alles zu oft in den letzten Jahren wiederholt. Als sich unsere Wege im letzten Sommer erneut trennten, entwarf ich auch für dich einen Plan. Du bist ein wichtiger Mensch in meinem Leben, ich vielleicht auch in deinem. Deshalb solltest du deinen Platz tief in mir drin behalten. Aber diese ständigen Berg-und-Tal-Fahrten mit meinen Gefühlen wollte ich nicht mehr aushalten müssen. Ich verbot mir selbst, dir jemals wieder nah zu kommen. Ich nahm mir vor, dir nie wieder zu viel von mir zu zeigen. Meine Vorstellung ging dahin, dass wir uns zwar kennen, aber doch besser nicht mehr begegnen. Das gelang ganz gut in den zurückliegenden Monaten.

Seit einigen Tagen schrieben wir uns nun wieder ein paar Nachrichten, lachten darin zusammen und alberten herum. Das genügte. Keine Nähe, kein In-die-Augen-Sehen, keine Gespräche. Kein Zurück in mein Leben. Ich übte die Umsetzung meines Plans.

Und dann war heute früh plötzlich meine Toilettenspülung defekt. Noch morgenmuffelig schrieb ich dir davon. Eine Stunde später klingeltest du an meiner Tür. Mit einem Augenzwinkern und einem sarkastischem „Welcome back“ empfing ich dich. Cool-bleiben war ja schließlich mein Plan. Plötzlich saßen wir uns wieder gegenüber. Nach über einem halben Jahr sahen wir uns an und ich wusste, dieser verdammte Plan war für die Katz. Wir begegneten uns heute neu und doch altbekannt. Welchen Sinn hätte es gemacht, Distanz und Kühle vorzugaukeln, wenn sofort Nähe und Wärme wieder zurück waren? Wie sollte ich mich vor jemandem verstecken oder verstellen, der bereits jeden meiner Gedanken kennt, der über jedes meiner Gefühle bescheid weiß, der mich schon so viele Male lachen, weinen und sogar nackt gesehen hat? Jeder Versuch davon wäre sinnbefreit gewesen. Also machten wir heute einfach dort weiter, wo ich vor sechs Monaten „Tschüß, bis später.“ gesagt und dich dann doch bis heute nicht mehr wiedergesehen hatte.

Mein Plan für den heutigen Tag und auch für dich sah so nicht aus. Natürlich hätte ich anders auf alles reagieren können. Es lag in meiner Hand, dir abzusagen und meine Vorhaben durchzuziehen. Ich hätte dich auch nur die Toilettenspülung reparieren und danach sofort gehen lassen können, um gar kein intensives Gespräch aufkommen zu lassen. Ich hätte dich heute einfach nicht mehr liebhaben können. Hab ich aber alles nicht getan, weil ich es eben nicht kann. Denn genau diese spontanen Überfälle des Lebens, die aus dem Nichts geschehen und mich überrumpeln, machen mein eigenes Leben aufregend und bunt. Selbst, wenn ich mich frage, was dieser Blödsinn jetzt soll, warum er geschieht, bin ich doch viel zu neugierig auf diese Überraschungen und deren Konsequenzen.

Vielleicht tut es mir nicht immer gut, mich dem, was auf mich zukommt, hinzugeben. Vielleicht ist es aber auch wichtig für mich. Erfahren kann ich es letztendlich nur, wenn ich es zulasse, wenn ich einfach mit den Geschehnissen, mit diesem Leben, mitfließe und wüstes Gedankengeschrei, was eventuell daraus geschehen könnte, vorher auf lautlos schalte.

Nein du solltest nicht mehr in meinem Leben auftauchen und meine Seele berühren. Du solltest mir nie mehr in die Augen und all meine Gedanken und Gefühle darin sehen können.

Aber weißt du, ganz egal, was ich ursprünglich wollte oder nicht. Auch egal, was morgen die Konsquenz von heute sein wird. Ich habe es genossen, wieder mal mit dir zu reden, deine Stimme zu hören und in deinen Augen zu sehen, dass wir uns vielleicht doch nie komplett verloren haben. Ja, ich habe dich für ein paar Stunden genießen können. Wenn es dir nur ein bisschen genauso ging, dann war dieser ungeplante Tag genau richtig, wie er war, ohne dass wir ihn so wollten.

Also, scheiß auf all meine Pläne. Die Weihnachtsdeko und der alte Drucker stehen ja auch noch immer herum. Wen interessiert es? Das Leben jedenfalls nicht, denn dieses hat immer etwas ganz Eigenes mit uns vor…

… zum Beispiel, die Toilettenspülung zu sabotieren.

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