Verkaufsgespräch

Meine Hausbank hatte mich in dieser Woche zu einem Gespräch eingeladen. Empfangen wurde ich von einem jungen Mann, Anfang dreißig. Zunächst wurden elektronische Unterschriften erneuert, meine Zufriedenheit abgefragt und mein altes TAN-Gerät belächelt. Als der junge Mann Interesse an meinem Job beim Insolvenzverwalter zeigte, plauderten wir ein wenig darüber, bis er das Gespräch genau in die Richtung lenkte, die ich geahnt hatte… den Verkauf von Sicherheiten.

Da war die Rede von Geldanlagen, um mir in ein paar Jahren ganz sicher meine Wünsche (z. B. einen tollen Urlaub oder größere Anschaffungen) erfüllen zu können. Versicherungen wären auch wichtig, falls mir oder mir wichtigen Dingen Unheil widerfährt. Ich schüttelte bei all seinen Vorschlägen nur lächelnd den Kopf. Er schaute fragend und mir war klar, dass ich ihm dieses Kopfschütteln nun erklären musste.

Ich bin kein Mensch, der weit im Voraus plant. Bis zum Ende der Woche ist vielleicht noch möglich. Mehr will ich nicht. Mein Geld möchte ich nicht für eine Zukunft beiseite legen, von der ich gar nicht weiß, ob und wie sie mich empfangen wird. Ich lebe heute, in diesem Moment, und ich brauche mein verdientes Geld, um es mir gerade jetzt schön zu machen. Ein toller Urlaub? Ich erzählte dem jungen Mann von meinem Irland-Traum, aber auch, dass der Traum eben schon wunderschön zu träumen ist und ich deshalb nicht unglücklich sein werde, wenn ich den rauhen Atlantik dort niemals erfahren kann. Wenn es aber wirklich sein soll, werde ich diese Reise gewiss auch irgendwann antreten. Ansonsten gibt es für mich nicht DEN Urlaub. Hier, wo er und ich leben, kann schließlich jeder Tag Urlaub sein. Es sind so viele Seen und Wälder, ganz nah und sogar mittendrin in der Stadt. Somit ist es möglich, täglich den Feierabend als kleine Auszeit zu zelebrieren.

Ich erklärte dem jungen Bankberater auch, dass ich nichts besitze, woran ich festhalte oder klammere und was mir so wichtig wäre, dass ich es versichern müsse. Nein, auch mein Leben nicht. Denn wenn etwas geschieht, wird mir keine Versicherung das Verlorene wiedergeben können, außer den materiellen Wert von Dingen. Meine Gesundheit oder mein Leben absichern? Wenn Krankheiten kommen, dann auch trotz Versicherung. Und wenn ich sterbe, dann bin ich tot. Welche Versicherung kann mich wieder gesund oder lebendig machen? Warum ich denn eine Haftpflichtversicherung hätte? Ganz einfach, falls ich Tolpatsch bei jemandem einen Schaden anrichte. Ich erzählte auch, dass ich eine sehr kleine Sterbeversicherung habe. Mein Gegenüber lachte. „Herrlich, das Ende haben Sie also abgesichert, aber dazwischen nichts?“ Ich nickte und dachte mir: Logisch, denn das Ende ist gewiss. Was bis dahin passiert, allerdings nicht.

Er wollte wissen, ob ich nicht beruhigter wäre, wenn zum Beispiel nach einem Unfall ein wenig finanzieller Rückhalt vorhanden sei. Ich antwortete ihm: „Wenn Sie irgendwann so alt sind wie ich, dann werden auch Sie die Erfahrung gemacht haben, dass stets, auch ohne Vorsorge, von irgendwoher Lösungen auftauchen. Es geht immer weiter. Immer!“ Ich legte meine Arme auf den Tisch und beugte mich leicht zu dem jungen Menschen auf der anderen Seite des Schreibtisches hinüber: „Ob Sie mir das jetzt glauben oder nicht, aber wovon Sie reden, ist für mich wirklich NUR Geld. Mehr nicht.“ Er sah mich mit großen Augen lächelnd eine Weile an, bevor er sagte: „Wissen Sie, wenn ich Sie so ansehe und Ihnen zuhöre, glaube ich Ihnen das tatsächlich.“

Ich bin mir nicht sicher, ob er mich für total seltsam hielt, als er mich fragte, ob ich die Werbung meiner Hausbank aus dem Fernseher kenne und ich ihm sagen musste, dass ich seit vielen Jahren nicht mehr fernsehe. Die Nachrichten interessieren mich nicht, denn wenn sie gesendet werden, ist ja sowieso alles schon passiert. Wenn ich fernsehen und mir somit unweigerlich auch die ständige Werbung antuen würde, ja, dann bräuchte ich wahrscheinlich auch eine Menge Zeug, welches ich dann womöglich tatsächlich absichern müsste. Was ich nicht kenne, das brauche ich auch nicht. Der junge Mann stimmte mir zu, denn er sähe ja an seinem kleinen Kind zuhause, was dieses alles in der Werbung sieht und dann auch unbedingt haben muss.

Mein Bankberater wirkte mit der Zeit etwas nachdenklich und ich fragte mich mittlerweile, wer hier eigentlich wen berät. Aber er war wirklich drollig, wie er so dasaß, mich ungläubig anstarrte, hin und wieder zustimmend nickte und dabei nicht mehr aufhörte zu lächeln.

Zu meinen Lieblingssätzen gehört ja: Glücklichen Menschen kann man nichts verkaufen. Deshalb fühlte es sich verdammt gut an, als sich der junge Mensch, der so vorbildlich auf meinen Besuch vorbereitet war, zurücklehnte und sagte: „Was soll ich denn Ihnen noch mitgeben oder anbieten? Wenn jemand so zufrieden ist, mit dem, was ist und was er hat, sollte man es auch dabei belassen.“

Zu Beginn unseres Gespräches stand die Überlegung im Raum, mir einen neuen Bankberater in einer für mich schneller zu erreichenden Filiale zuzuteilen. Am Ende unseres Termins gab mir der junge Mann allerdings die Hand, hielt sie einen winzigen Moment länger fest und bat mich, die Filiale und den Berater nicht zu wechseln. Er würde mich gerne in zwei, drei Jahren wieder zum Gespräch einladen. Ich stimmte ihm lachend zu: „Tun Sie das und dann schauen wir mal, wo Sie und ich dann stehen.“

Nach dem Verlassen des Gebäudes steckte ich mir meine Kopfhörer ins Ohr. Die letzten Worte des jungen Mannes zum Abschied „Ich werde unser Gespräch erstmal verdauen müssen, aber ich denke, ich nehme sehr viel davon heute mit.“ ließen mich vor der Tür immer noch etwas lächeln…

…bevor mich „This is not the time to wonder…“ in meinen Ohren auf dem Heimweg begleitete.

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