(Un)wichtig

Meine Kollegin und ich teilen uns ein Büro. Unsere Schreibtische stehen aneinander und wir sitzen uns gegenüber. Wenn wir unsere Hälse strecken, können wir uns über die Bildschirme auch mal ansehen. Vor ein paar Wochen schaute sie ständig auf ihr Smartphone, welches neben der Tastatur lag und seufzte das ein oder andere Mal. Irgendwann sagte sie: „Ach Mensch, ich bin heute so unwichtig.“ Ich schmunzelte hinter meinem Monitor und überließ sie zunächst ein Weilchen ihrem Selbstmitleid.

Aber irgendwann reckte ich mich über meinen Monitor und erinnerte sie: „Ist doch toll, dass du heute unwichtig bist.“ Fragender Blick. Ich erklärte ihr meine Sicht der Dinge.

Vielleicht ist es erst einmal kein schönes Gefühl, unwichtig zu sein. Jeder von uns möchte beachtet, gesehen, verstanden oder geliebt werden. Dafür sind wir Mensch. Aber, ich bin auch dann noch Mensch, wenn sich niemand für mich interessiert. Wenn ich scheinbar der ganzen Welt egal und so dermaßen unwichtig bin, kann ich tun und lassen, was ich will. Ich muss keinerlei Rücksicht nehmen. Dann ist da eine Unmenge an Zeit für mich. Ob ich Blödsinn anstelle oder mich einfach nur still für mich mit mir befasse, spielt keine Rolle. Alles, was mir gerade einfällt, ist erlaubt. Wen interessiert es denn? Meine so unwichtige Kollegin begann zu lachen.

Vor ein paar Monaten, kurz nach der Geburt ihres Kindes, kam meine Tochter in Bedrängnis. Plötzlich war so viel zu tun. Das Kindchen musste versorgt werden, der Haushalt erledigt, der Einkauf geschleppt und ja, der Mann auch noch verstanden und geliebt werden. Einen spontanen Vorschlag zu einer Unternehmung tat sie mit den Worten ab, dass sie erst noch die Wohnung putzen und das Geschirr spülen müsse. Sie wüsste auch gar nicht mehr, was zuerst getan und was am wichtigsten wäre. Ich schaute mein überfordertes Kind an. „Jedesmal, wenn du überlegst, ob etwas wichtig ist, frage dich, was geschieht, wenn du es nicht tust. Wirst du oder jemand anderes dann tot umfallen? Geht die Welt unter? Wenn du diese Fragen mit Nein beantworten kannst, ist es gerade nicht wichtig. Wenn dein Leben und deine Gesundheit, vielleicht sogar deine Existenz oder die eines anderen durch dein Nichtstun, gefährdet werden, nur dann ist dein Handeln wirklich wichtig. Alles andere kann warten.“ Ich weiß nicht, ob sie das verstanden hat. Gegrinst hat sie auf jeden Fall und etwas entspannter ist sie mittlerweile auch.

Wahrscheinlich nehmen wir uns und unser Tun oftmals wirklich zu wichtig. Ich schließe mich da übrigens nicht aus. Passiert auch mir. Es ist ja unbestritten auch ein schönes Gefühl, für sein Dasein beachtet und gemocht zu werden, Aufmerksamkeit zu bekommen.

Als ich neulich Abend von einem Balkon aus den Sonnenuntergang beobachtete, stellte ich allerdings wieder fest, dass ich für dieses allabendliche wunderschöne Spektakel am Himmel überhaupt nicht wichtig bin. Selbst, wenn kein Haus dort unten mehr stehen, kein Mensch dort mehr leben, keine Stimmen mehr vom Wind herübergeweht würden, wenn ich, als Mensch, nicht mehr wäre, würde die Sonne sich, davon ungestört, trotzdem jeden Abend wieder da hinten am Horizont hinter den Bäumen in phantastischen Farbspielen zur Ruhe betten. Dafür braucht sie mich nicht.

Deshalb…
Wenn ich heute für die ganze Welt unwichtig bin, schnappe ich mir mein Fahrrad und meine Decke. Ich lege mich mit einer Kanne Kaffee an den See und schreibe einfach mal meine unwichtigen Gedanken zur eigenen Unwichtigkeit auf…

… während das Wasser plätschert, die Sonne darin glitzert, die Blätter der Bäume im Wind rauschen, Familie Schwan nach mir schaut und tolle Musik durch die Kopfhörer schallt.

Das war mir nämlich gerade wichtig.

Foto mit Genehmigung: Meine liebe Kollegin Kristin und ich, nach dem Erkennen unserer Unwichtigkeit.

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