Ohne Papa

Eigentlich wollte ich nur deine durchgeknallte Tante sein. Die, die mit dir Cocktails trinkt, dummes Zeug redet, dich zum Lachen bringt und dir hin und wieder etwas peinlich ist. Aber nun sitzt du bei mir am Küchentisch und fragst, ob du mit mir reden kannst. Na klar, kannst du das.

Du sagst, dass du nicht mehr schlafen kannst und berichtest mir von deinen fürchterlichen Albträumen, seit dein Vater vor einigen Monaten gestorben ist. Du fühlst dich schlecht, weil du sein Bild im Moment nicht anschauen kannst und fragst, ob es nicht unnormal ist, dass du mit ihm sprichst, wenn du allein zuhause bist. Du erzählst mir auch, dass du so oft an ihn denkst und traurig bist. Aber immer, wenn das passiert, lenkst du dich ab, mit deiner Playstation oder mit deiner Arbeit. Du versteckst deine Traurigkeit, nur weil Andere sagen, die Zeit der Trauer könnte nun nach den drei/vier Monaten mal so langsam vorbei sein. Du weißt nicht, was richtig ist. Und du fragst mich auch, ob ich glaube, dass dein Vater noch irgendwo hier ist.

Hey Kleiner, du bist knapp 20 Jahre alt und dein Vater war so jung wie ich. Er war ein cooler Typ, ein Kerl wie ein Baum mit breiten Schultern. Seine langen blonden, ständig zerzausten Haare und seine Fransenlederjacke waren sein ganzer Stolz. Aber diese vielen Operationen kosteten ihn seine Haare. Immer dann, wenn sie wieder gewachsen waren, stand eine neue OP an und sie mussten erneut weichen. Die Tumore in seinem Kopf ließen sich nicht aufhalten. Trotzdem war er so wahnsinnig stark, denn er hat jedes Mal daran geglaubt, dass er gesund wird und dass er weiter leben kann. Und auch du warst stark, weil du bis zum Schluss an seiner Seite warst. Du bliebst bei dem einst großen, starken und kräftigen Mann, als er nur noch hilflos und voller Schmerzen war, obwohl er nicht wollte, dass du ihn so siehst. Doch irgendwann schaffte er es nicht mehr. Und er musste dich zurücklassen.

Du fragst, ob ich dir helfen kann. Nein, das kann ich nicht. Ich kann dir deine Trauer nicht nehmen. Aber ich kann dir sagen, dass es nicht schlimm ist, wenn du mit ihm redest, selbst, wenn er nicht da ist. Wenn du sein Bild zurzeit nicht erträgst, leg es ruhig weg. Du wirst es eines Tages wieder hervorholen, dann, wenn es für dich richtig ist. Allerdings bitte ich dich, niemals diese Traurigkeit zu verdrängen. Lenk dich nicht ab, sondern lass sie zu und höre bloß nicht darauf, was andere dir sagen. Weißt du, ich habe auch Menschen verloren. Ich habe nachts unter Tränen geschrien, weil jemand gestorben war, der mir nahe stand und in meiner Verzweiflung andere angerufen, damit sie bei mir sind. Aber sie kamen nicht. Sie ließen mich allein. Dieselben haben mir auch gesagt, wie lange ich trauern darf und wann ich wieder zu funktionieren habe. Ich habe darauf gehört. Dafür brach ich unter diesem Nicht-Traurig-Sein-Dürfen Jahre später zusammen. Aber dann erwischte es mich richtig schlimm. Und wieder wurde ich damit allein gelassen. Ich möchte nicht, dass es dir auch so geht. Deshalb schrei raus, wenn du deinen Papa vermisst, rede und frage, was du fragen willst und weine, wenn du weinen musst. Niemand hat das Recht, dir zu sagen, auf welche Art und wie lange du um deinen Vater trauerst. Du allein wirst fühlen, wenn diese Trauer nachlässt und sich in Dankbarkeit verwandelt.

Ob dein Dad hier noch irgendwo ist, weiß ich nicht. Du sagst, man hätte dir erzählt, jemand wäre erst dann tot, wenn er vergessen wird und niemand mehr an ihn denkt. Ja, ich glaube, genauso ist es. Solange du an ihn denkst, wird er hier sein… für dich.

Lass mich dir noch sagen, dass der nun letzte Weg deines Vaters vom Leben so entschieden wurde. Du sagst, bevor er ging, hat er noch einmal kurz geseufzt. Vielleicht war es so ein Seufzen, wie wir es manchmal von uns geben, wenn wir etwas geschafft und endlich zu Ende gebracht haben, wenn Erleichterung eintritt. Dein Vater wollte und musste gehen. Ich denke, es ist nur unser Egoismus, an Menschen zu klammern, weil sie uns guttun, weil wir sie so gern und bei uns haben wollen. Damit machen wir es ihnen aber schwer, sich auf ihren letzten Weg begeben zu können. Doch wir haben nicht das Recht, sie festzuhalten, nur weil der Abschied uns selber so weh tut. Deshalb, lass deinen Papa gehen.

Nein, ich kann dir deine Trauer nicht nehmen. Aber ich kann bei dir sein und dich auch in den Arm nehmen. Rede mit mir, wann immer du möchtest. Auf keinen Fall lasse ich dich mit all den Gefühlen und Gedanken allein.

Hey, und wenn du es möchtest, bin ich doch noch die coole Tante. Dann mix ich uns einen Drink, wir prosten deinem Papa zu und hören gemeinsam ganz laut „Ohne dich“ von Rammstein, die Musik, die dein Vater so geliebt hat…

… und die Welt da draußen hat es einen Scheiß zu interessieren, ob wir dabei lachen oder weinen!

4 Antworten auf „Ohne Papa“

  1. Wunderbar.
    Jeder trauert auf seine Weise und wenn nötig, ein Leben lang.
    Das geht andere nichts an.
    Die sollen ihre Klappe halten.

  2. Wow und Du hast recht mit dem wie Du es schreibst!!! Ich konnte mich nicht verabschieden von meinem Dad,wril er zu weit weg war und mir erst zu spät gesagt wurden ist das er im KH lag🙁
    Manchmal wenn ich meine Augen schliese oder rauf zum Himmel schaue und die Sterne leuchten,sehe ich das Gesicht meines Vaters wie er ein leichtes schmunzelnhat. Klingt kitschig,aber es ist so und darüber bin ich Dankbar❤

    1. Liebe Nicole, das ist überhaupt nicht kitschig! Bewahre dir dein Schmunzeln, wenn du in die Sterne schaust unbedingt. Ich tue es ähnlich, wenn ich an jemanden denke, der bereits vorgegangen ist.

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