Geschenkter Himmel

Jemand schenkt mir fast jeden Tag ein Stück Himmel. Hört sich verrückt an. Ist es irgendwie auch!

Seit einigen Tagen bekomme ich morgens ohne großen Kommentar ein Foto aufs Handy geschickt. Darauf ist nichts weiter zu sehen, als der scheinbar unspektakuläre Himmel. Eventuell noch ein paar obere Stockwerke von Häusern. Der Berliner Fernsehturm war auch schon mal mit drauf. Der nette Kerl, der mir fast täglich morgens in der Früh diese Fotos schickt, tut das einfach, weil ich ihn darum gebeten und ihm gesagt habe, dass ich mich darüber freue. Ich bin mir sicher, er hat keine Ahnung, weshalb mir das morgendliche Foto Freude bereitet. Ich habe es ihm bisher auch nicht gesagt.

Ich liebe den Himmel einfach nur. Er ist für mich der Inbegriff von Weite und er hört nirgends auf. Wie ein schützendes Dach liegt er über mir. Da er nirgendwo endet, gibt er mir das Gefühl, dass mir nichts passieren kann, egal, wohin ich gehe oder wo ich gerade bin. Himmel sieht jeden Tag anders aus, mal mit Wolken betupft, mal strahlend blau, mal bedrohlich oder einfach nur nichtssagend grau. Ich sitze gerne spät abends oder nachts draußen. Dann, wenn er tiefschwarz ist und nur der Mond wie ein Lampion oder die Sterne wie Millionen LED-Lichter aus ihm heraus strahlen. Aber morgens ist er am schönsten, wenn der Tag anbricht, wenn alles nur langsam und noch unausgeschlafen in Bewegung kommt. Wenn das Leben blinzelnd aufwacht.

Dieses Foto erinnert mich jeden Tag kurz nach dem Aufstehen, noch bevor ich selber vor die Tür gehe, daran, dass ich unwichtig bin. Ja, ich und all meine Sorgen, Gedanken, Problemchen und sogar mein alltägliches Tun, sind für das Leben an sich, unter diesem faszinierenden Himmel nicht wichtig. Jeden Morgen wird er hell und jeden Abend dunkel. Die Jahreszeiten wechseln sich weiterhin ab, die Sonne scheint und der Regen kommt oder bleibt, wie in diesem Jahr, einfach weg. Ich werde dafür nicht gebraucht.

Noch krasser empfinde ich es, wenn ich irgendwo am Strand stehe und sehe, wie der Himmel aufs Meer trifft. Wow, dann küsst dieser endlose Himmel am Horizont das endlose Meer. Für wie groß und wichtig kann man sich dann noch halten, wenn man davor steht und doch so winzig ist? Jemand sagte zu mir, jeder von uns wäre wichtig, denn schließlich hätte auch jeder seine Aufgabe in diesem Leben. Vielleicht. Aber wenn ich meine Aufgabe nicht erfülle, wird es eben jemand anderes tun. Wir sind überall austauschbar, im Job, im Freundeskreis und in Partnerschaften. Und wir werden auch tatsächlich ausgetauscht, gnadenlos, immer wieder, unser Leben lang. Also, wie wichtig sind wir wirklich? Was bilden wir uns da ein? Ganz ehrlich, wenn ich keine Kraft mehr benötige, um meine geglaubte Wichtigkeit ständig unter Beweis stellen zu müssen, wenn ich mich nicht mehr aufplustern und ständig kämpfen muss, damit mich andere für wichtig halten und auch, wenn ich über meine Winzigkeit unter diesem Himmel lachen kann, lebe ich anders… bedeutend ruhiger und gelassener.

Dieses Foto, morgens aus einer anderen Stadt, zeigt mir den Himmel, so wie er dort gerade in diesem Augenblick ist. Meist ganz anders als hier bei mir und trotzdem ist es der selbe, was mich immer wieder so beeindruckt.

Egal, wie verrückt mein Wunsch war, am Morgen Fotos vom Himmel zu bekommen und, dass der nette Typ gar nicht wusste, warum. Er hat sie bisher einfach geschickt, ohne dass ich mich bei ihm dafür erklären musste. Genau das hat ihn nun aber plötzlich wichtig gemacht. Nicht für das Leben dort draußen und nicht für das Meer, weder für den Sonnenauf- oder -untergang, noch für die Farbe des Himmels, sondern nur für mein Lächeln und mein Staunen …

… über einen scheinbar belanglosen Himmel, über ihm und mir in diesem kurzen Moment.

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