Nenn mich ruhig realitätsfremd!

Slapstick heute im Büro: Meine Kollegin gegenüber liest aus BILD-online irgendwelche Nachrichten vor, bei denen sie sich furchtbar empört. Ich verstehe den Namen Schulz, ansonsten nur Bahnhof. Natürlich frage ich sie, wer denn der Herr Schulz sei. Das wäre doch dieser Kanzlerkanditat. Meine Frage darauf, ob der denn eine Chance hätte, löste auf der anderen Seite des Schreibtisches grölendes Gelächter aus und die Information, dass die Kanzlerwahl schon längst gewesen wäre. Und schon lachten wir beide, denn meine Kollegin weiß über mich bescheid.

Ja, es ist nämlich mittlerweile fünf Jahre her, dass ich ein letztes Mal Fernseher geschaut habe. Auch Zeitungen sind aus meinem Leben verbannt. Es war keine Absicht und kein Vorsatz, es passierte einfach. Damals war ich an einem Punkt in meinem Leben, der mich aus der Bahn warf. Und plötzlich wurden komplett andere Dinge wichtiger für mich, als Fernseher. Es war der Moment, in dem ich beginnen musste, über mich und dieses Leben hier nachzudenken, Lösungen zu sehen. Dabei geschah es aus Versehen, dass der Fernseher ausgeschaltet blieb. Und so ist es nun, seit fünf Jahren schon.

Nein, ich vermisse nichts. Weder Fernseher, Zeitungen oder Radio können mir das geben, was ich in den letzten Jahren erleben und an Wissen erfahren durfte. Natürlich werde ich ausgelacht, für desinteressiert, uninformiert, realitätsfremd und naiv gehalten. Ich werde gefragt, womit ich meine Zeit verbringe, was ich an den Wochenenden oder Abenden mache.

Meine Antwort: Ich lebe einfach nur!

Und das seit fünf Jahren ohne Panikmache, ohne Ablenkung von mir selber, ohne Angst, ohne Zeitverschwendung und ohne Sensationsgeilheit. Mal ehrlich, Dinge sind doch bereits immer schon passiert, wenn sie in den Nachrichten gesendet werden. Also, was kümmert es mich, wenn ich sie doch nicht mehr rückwirkend ändern kann? Vorhersagen, egal ob Wetter oder Politik, sind für mich Vorher-SAGEN, eben nur Geschichten. Ob sie letztendlich wirklich so eintreffen werden, weiß ich doch gar nicht. Also warum davor Angst haben? Bei Bauer sucht Frau, Supertalent, Frauentausch etc. werden Menschen zur Belustigung der Allgemeinheit zur Schau gestellt. Benötige ich die Dummheit anderer, um mich besser und größer zu fühlen? Daily Soaps, Musikantenstadl sowie Rosamunde-Pilcher-Heile-Welt, und was es da noch alles gibt, soll uns dann nach dem Frust, der Angst und der Hilflosigkeit des vorabendlichen Programms wieder das Gefühl geben, diese Welt wäre doch noch in Ordnung?

Sorry, es ist für mich eine Farce und nichts anderes als Ablenkung von uns selbst. Es klappt ja auch wunderbar. Die Menschen reden und diskutieren stundenlang über das, was sie im Fernseher gehört oder gesehen haben, sprechen viel zu selten über sich selber. Sie tauschen sich mit Euphorie über Zombiefilme aus, ohne zu bemerken, dass sie selber wie gesteuerte Halbtote gefühllos durch dieses wunderbare Leben laufen. Sie sind gerührt bei billigen Liebesfilmchen, aber unfähig, selber große, ehrliche Liebe zu leben. Sie bestaunen die weite Welt vom Sofa aus, statt ihre Komfortzone zu verlassen, um mal die wunderbare Welt um sich herum zu entdecken. Manche beenden sogar tatsächlich interessante Gespräche, weil ihre 20.15 Uhr-Serie beginnt. Verrrückt!

Naja… als meine Tochter mir neulich erzählte, dass sie ihre Wäsche nun mit Pods, Wäscheconditioner und Wäscheparfum wäscht, hatte ich allerdings auch das Gefühl in einem schlechten, durch Werbung unterbrochenen Science Fiction Film mitzuwirken. Denn selbst das geht nun vollständig an mir vorbei. Keine Werbung, kein Konsum, kein Haben-Müssen mehr. Das Jagen, Hetzen und Suchen nach Dingen, die mich glücklich machen sollen, hat aufgehört. Ich „brauche“ seit fünf Jahren so viel weniger, als in den Jahrzehnten davor.

Und das verschafft mir Unmengen an Zeit, Zeit für Menschen, die mir etwas bedeuten, die mich bereichern, die mit mir nach draußen gehen, die mit mir über sich und mich reden, Menschen, die nach jedem Fallen wieder aufstehen, die mich mit ihren Gedanken und Ideen begeistern, die weinen, aber auch noch lachen und albern sein können… Menschen, die ebenso selber leben, statt nur allabendlich dem absurden Leben auf dem Bildschirm zuzuschauen.

Nein, ich will und kann niemandem verbieten den Fernseher einzuschalten. Jeder ist für sich selber verantwortlich. Mit Sicherheit gibt es auch Viele dort draußen, die gezielt und ausgewählt das Fernsehprogramm schauen, statt sich unaufhörlich mit jedem erdenklichen Schwachsinn berieseln zu lassen.

Aber für mich hat dieses Gerät nun mal keine Bedeutung mehr und deshalb möchte ich so gerne daran erinnern, dass dort draußen, außerhalb des 75-Zoll-TVs, auch ein großartiges Programm mit dem Titel „Einfach nur leben“ läuft. Und dieses ist voll mit Highlights, mit unvergleichlichen Klängen, in wunderschönen Farben, mit so vielen unterschiedlichen und liebenswerten Charakteren, es ist so unglaublich spannend und sprüht vor Liebe. Man kann dieses phantastische Programm sogar riechen, atmen und anfassen. All das auf nur einem Kanal, wenn man ihn empfangen kann.

Bevor mich jemand fragt… Ja, tatsächlich habe auch ich noch einen Fernseher mit einer angenehmen Größe von 32 Zoll an der Wand. Den benutze ich sogar, denn selbst ich sehe gerne mal einen guten Film. Im letzten Jahr waren es genau vier Filme, die ich sah und ich kann sie alle noch mit Titel benennen, weil sie mich begeisterten und ich mich bewusst für sie entscheiden konnte.

Aber einer dieser Filme bleibt mir für immer besonders im Gedächtnis. Denn diesen durfte ich gemeinsam mit einem Menschen erleben, den dieser Film genauso wie mich tief berührt hat, der ihn genauso fühlen konnte und für den dieser Fernsehabend mit mir damals mehr als nur ein unnützer Zeitvertreib war.

Und nur solche einfachen Szenen haben noch Bedeutung in meinem eigenen Film, in meinem Leben.

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