Leben vs. Panikattacken

Wenn ich versuche, Menschen meine Leichtigkeit des Lebens näher zu bringen, stellen sie Fragen. Sie wollen Beispiele. Was nimmt man dann für Beispiele? Am besten doch welche, die man selber erlebt, erfahren und erkannt hat. Eines davon ist meine Geschichte mit den verfluchten Panikattacken.

Diese waren plötzlich da. Irgendwann eines Tages, ohne dass ich sie darum gebeten hatte, warfen sie mich aus der Bahn. Diese Attacken sind der Horror. Wer sie erlebt hat oder immer noch erlebt, weiß, wovon ich rede. Bei jeder einzelnen dieser ungebetenen Erscheinungen beginnt der Kampf ums Überleben. Man ist der festen Überzeugung, dass genau jetzt der Moment des endgültigen Happy Ends gekommen ist. Man verfällt wirklich in eine kaum auszuhaltene Panik und der Körper bestätigt sogar, dass er nun aufgeben wird. Die Anfälle können einige Minuten andauern, aber auch Stunden oder sogar Tage.

Ich wusste anfangs nicht, dass es Panikattacken waren, sondern dachte, mein Kreislauf ist irgendwie aus der Bahn geraten. Also habe ich mich durchchecken lassen. Nach mehreren Untersuchungen und zig Stunden bei Ärzten, die alle auf meine Symptome eingingen, stellte meine Hausärztin die Diagnose: Panik!

Ich lernte den Unterschied zwischen Panik und Angst und bekam Tabletten dagegen. Aber diese Pillen waren nicht in der Lage, die Attacken zu unterbinden. Sie wurden immer krasser und bestimmten irgenwann meinen Alltag. Sie hatten einfach die Kontrolle über mein Leben gewonnen. Ich war nicht mehr in der Lage allein zu bleiben oder allein unterwegs zu sein. Das Autofahren, was ich kurz zuvor gelernt hatte, gab ich vollständig auf, nachdem mich eine Panikattacke während der Fahrt erwischt hatte.

Ich begann mich an Menschen zu klammern. Mein damaliger Partner musste das aushalten. Verließ er das Haus, musste er mich mitnehmen. Wollte ich zu Hause bleiben, musste er auch bleiben. Hatte ich Dinge zu erledigen, musste er mitkommen. Ich wollte beim Sterben einfach nicht alleine sein.

Aber diese Abhängigkeit gefiel mir nicht. Also stellte ich mich diesen Panikattacken und begann zu kämpfen. Ich achtete auf meinen Körper, nahm die Tabletten immer schön regelmäßig und las stundenlang in Foren, wie ich die Kontrolle über mich wiederbekommen könnte. Ich probierte sämtliche Tipps und Tricks aus. Nichts half. Im Gegenteil, je mehr ich kämpfte, desto öfter waren die Attacken da. Da ich schon gleich morgens nach dem Aufstehen sofort gedanklich in Konfrontation mit dem Feind ging, schlugen sie mir manchmal schon beim Frühstück die Beine weg. Ich starb quasi am Frühstückstisch. Und irgendwann schloss sich dieser teuflische Kreis… Ich hatte Angst vor der Angst! Das bedeutete, es gab nun überhaupt kein Entkommen mehr. Dieses Sterben dauerte einige Jahre, in denen sich die Panikattacken sogar in ihrem Ablauf und ihrer Symptomatik veränderten.

Aber dann kam der Moment, als ich müde wurde. Ich hatte keine Kraft mehr gegen den täglichen Tod anzukämpfen. Ich war gebrochen und gab auf.

Damals hatte ich einen Job in einem anderen Stadtteil. Dazu musste ich allein mit der Straßenbahn fahren. Schon der Gedanke daran ließ mich, wie immer, schwitzen, viel zu schnell atmen und Angst haben. Natürlich kam, was kommen musste, ich hatte mich ja schließlich mental schon regelrecht darauf eingestellt. Während der Fahrt mit der Straßenbahn begann das Sterben. Der weiße Schleier vor den Augen war da, ich bekam keine Luft mehr und die Hitze stieg mir von den Füßen bis in die Haarwurzeln, der Schweiß stand mir im Gesicht. Ich konnte nichts mehr hören und nichts mehr wahrnehmen. Ich hätte sofort an der nächsten Haltestelle aussteigen müssen, so wie gefühlte Millionen Male davor.

Aber ich hatte keine Kraft mehr. Nur ein Gedanke war in diesem Moment da… Okay, Leben, dann lass mich los, dann sterbe ich eben jetzt… hier zwischen den fremden Menschen. Ich lass dich jetzt machen, was du willst. Es ist mir scheiß egal, denn ich schaffe es nicht mehr, dich zu kontrollieren. Also saß ich dort am Fenster, sah auf den kleinen See, an dem ich vorbei fuhr und wartete auf den Tod.

Die Panikattacke war da und ich ließ sie da… zwei Haltestellen lang. Als sie vorbei war, ich wieder hören und sehen konnte und nur der kalte Schweiß mich noch etwas frösteln ließ, wurde mir zum ersten Mal wirklich klar, dass ich gar nichts kontrollieren kann. Alles kommt und geht ohne mein Zutun. Und welch Wunder… Ich hatte überlebt, war doch gar nicht gestorben, obwohl ich den Kampf aufgegeben hatte.

Im Laufe der Zeit wurden die Panikattacken weniger. Ich setzte bewusst die Medikamente ab und hielt jede einzelne Begegnung mit dem vermeintlichen Tod aus. Seit ungefähr fünf Jahren bin ich nun attackenlos, denn ich habe etwas verstanden…

Ich kann nichts von dem kontrollieren, was das Leben mir bringt. Egal wie sehr ich mich wehre, kämpfe und es anders haben will. Wenn es geschehen soll, wird es geschehen. Aber was ich ändern kann, ist meine Einstellung dazu. Wenn ich Dinge, Geschehnisse, Situationen annehmen kann, sie einfach da lasse, erst dann stellt sich innerlich Ruhe ein. Wo kein Kampf stattfindet, wird es dann auch keinen Gegner mehr geben. Scheinbar ausweglose Situationen werden sich auflösen, weil sie keinen Spaß mehr an mir haben. Andererseits werden Dinge geschehen, die sowieso geschehen müssen, egal ob ich in Panik verfalle oder nicht, ob ich sie so gewollt habe, oder nicht. Nein, ich kann das Leben nicht kontrollieren, sondern das Leben macht mit mir was es will, jeden Tag.

Seit ich aber diesem Leben erlaube, mich zu leben, ist es so viel einfacher, leichter und entspannter …

… und das nicht nur im Hinblick auf meine verdammten Panikattacken.

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