Manchmal kann ich nachts nicht schlafen. Dann sitze ich meist in meinem dunklen Schlafzimmer und starre aus dem Fenster, so wie neulich Nacht.
Es hatte leicht geschneit und dieser zarte Teppich zierte die Bürgersteige. Nebel rekelte sich in den Lichtkegeln der Straßenlaternen und die kahlen Bäume standen gespenstisch an der Fahrbahn Spalier. Still war es und keine Bewegung störte diese Idylle. Selbst die Lichter in den Häusern gegenüber waren alle erloschen.
Ich liebe diese Momente. Wenn die Nacht ihr schwarzes Kleid anzieht, bin ich mit ihr und mir allein. Das ist die Zeit, in der meine Gedanken und Gefühle wild und hemmungslos mit dieser dunklen Schönheit tanzen. Die Nacht verurteilt mich nicht für kleine Schrittfehler. Sie erteilt mir auch keine ungebetenen Ratschläge und versperrt mir keine Richtung, sondern wirbelt mich überall hin.
Wenn ich zum Beispiel an der Fensterscheibe in Richtung Himmel immer noch meiner verstorbenen Oma unter Tränen zuflüstere, dass ich sie so sehr vermisse, umarmt mich die Dunkelheit sanft. Sie redet kein unnützes Zeug, sondern hält mich wortlos ganz fest. Sie streichelt mit ihrer Ruhe geduldig meine Trauer, bis ich die Tränen wegwische.
Es scheint aber auch, als ob die Nacht mir lächelnd zuschaut, wenn ich in Erinnerungen an Momente schwelge, in denen mich einst Liebe, Vertrauen und Nähe bis in die Tiefen meiner Seele verzaubert haben. Sie versteht kommentarlos, wenn ich diese Augenblicke vermisse. Die Dunkelheit hält es aus, wenn ich über Jene nachdenke, die mir nahestehen, über ihre Geschichten und ihr Leben. Wenn ich verrückte Träume und Ideen lächelnd in die Nacht dort draußen schicke, lockert diese sofort ihre liebevolle Umarmung, um mir Unmengen an Raum für all das zu geben, was ich mir wünsche und was ich noch (er)leben möchte. Sie steckt keine Grenzen ab, an denen diese Träume scheitern könnten, sondern gibt ihnen die nötige Weite.
Während das Leben für einige Stunden fest schläft, habe ich die Möglichkeit, mich ungesehen auszutoben. Ich darf über mich und andere lachen, die Verletzungen meiner Seele bitterlich beweinen, Sehnsüchte frei lassen, über den Irrsinn dieses Lebens grübeln, wunderschöne Traumkonstrukte entwickeln oder auch einfach nur mal wütend sein. Die Stille und die Schwärze sind sehr nachsichtig mit mir. Selbst wenn Tränen und Lachen sich unkoordiniert abwechseln, hält mich die Nacht aus. Sie erträgt mich und alles, was ich in diesem Moment bin. Dafür liebe ich sie und meinen ausgelassenen Tanz mit ihr so sehr.
Wenn die Morgendämmerung mir langsam die schützende und wärmende Decke der Nacht entzieht, das Leben wieder erwacht und nach mir verlangt, begrüße ich in meinem Kleid aus Liebe und Staunen voller Neugier einen neuen Tag.
Allerdings werfe ich mir manchmal noch einen schützenden Mantel darüber…
… den Mantel aus Lachen und Humor, mit doppelten Nähten aus Sarkasmus und auch Schweigen, damit die Spuren des nächtlichen Tanzes bei Tageslicht von niemandem gesehen werden.
Foto: Ricardo Kisker