Mit dem Floß ins Nichts

Es war eine Idee aus Spaß und Übermut. Ein bisschen Abenteuer, wenig Menschen und ein Stückchen Freiheit als Wunsch und zack… schon war die viertägige Floßfahrt auf dem großen heimatlichen See gebucht. Ich freute mich seit Wochen wahnsinnig auf diese Tour und mein Begleiter ebenso. Dabei ahnte ich nicht, was sie mit uns machen, wie sie uns ganz tief berühren würde.

Auf diesem Floß gab es nichts Komfortables. Aus zwei Holzbänken, zwei Brettern, einer Luftmatratze und zwei Schlafsäcken wurde abends das Doppelbett gebaut. Es gab weder feste Türen noch Fenster. Am Heck des Floßes war zwar eine Toilette (die Funktion ähnlich die eines Katzenklos) vorhanden, deren Raum aber so winzig war, dass ich ihn quer betreten und beim Benutzen die Tür offen lassen musste. Zehn Liter Brauchwasser für ein kleines Spülbecken waren an Bord und unser kleiner Campingkocher für Kaffee. In die kleine Kühlbox passten gerade mal zwei Flaschen Wasser und unser Grillgut, was wir mitgenommen hatten. Und so tuckerten wir fast vier Tage über den Schweriner Innen- und Außensee.

Wir fuhren auf dem Wasser und wir schliefen darauf. Tagsüber funkelte die Sonne millionenfach in den Wellen und in der Dunkelheit schlugen diese sanft, aber geräuschvoll, ans Floß. Sie schaukelten uns durch die Nacht. Wir tranken in aller Herrgottsfrühe den ersten Kaffee und bestaunten dabei den traumhaften Sonnenaufgang. Abends warfen wir irgendwo am Ufer einer Insel den Anker und grillten unser Abendessen im Sonnenuntergang. Der See war meine tägliche Badewanne und der Wind mein Fön. Zu meinem Spiegel wurde der Mann an meiner Seite, der mir sagte, dass ich so wie ich gerade bin, völlig ungeschminkt und unfrisiert, super aussehe; der mich anlächelte und abends in bequemer Fleecehose und Schlabberpulli „süß“ fand. Wenn mir nachts etwas kalt war, wurde dieser Mensch auch mein Ofen, an den ich mich ganz nah legen und in dessen Arm ich mich wärmen konnte.

Ich brauchte keine schicken Kleider und musste mich nicht in luftraubende Shapeware zwängen. Nackt liefen wir herum und nackt schwammen wir im See. Enten, Schwäne, Gänse störten sich nicht daran, dass wir beide von Modelmaßen weit entfernt sind. Sie schwammen einfach neben und vor uns im Wasser. Ich kann nicht beschreiben, wie viel Weite und Leichtigkeit sich in meinem (in unseren) Herzen ausbreitete, als mir verdammt früh bei Sonnenaufgang, auf einer kleinen Sandbank in glasklarem Wasser mittig in diesem großen See sitzend, die Kaffeetasse gereicht wurde. Genauso wenig kann ich erklären, wie man von unsagbarem Glück durchflutet wird, wenn alles Unwichtige so weit entfernt ist. Keine Pandemie, kein unnötiges Geschwätz, kein Konsum, kein Müssen, kein Brauchen, kein Zeitdruck, keine Verbote, keine Regeln. Es herrschten Natürlich- und Lebendigkeit, großes Vertrauen ineinander und vielleicht sogar eine Art Glückseeligkeit, welche für diese Momente lediglich aus Wellen, Sonne, Regen, Wind und zwei Menschen bestand, die gar nicht viel reden mussten, weil sie das, was sie umgab, beide mit gleicher Begeisterung aufsaugten. Weil sie diese Einfachheit beide lieben und hier nun sogar gemeinsam ausleben konnten. Es fühlte sich an, als wäre die Welt mit all ihren wüsten Vorstellungen, Konditionierungen, Dramen, Kämpfen und ihrer falschen Moral einfach verschwunden. Es gab sie einfach nicht mehr. Wir plantschten übermütig in einem riesigen Topf, der bis zum Überlaufen mit Liebe gefüllt war. Liebe zu allem was uns gerade umgab, auch zu uns selbst.

Diese Liebe ist immer in uns beiden, egal wo wir sind. Aber hier waren wir für einige Tage mit ihr allein. Da hatten Vernunft und Bedenken, Dazwischenreden und Ablenkung keine Chance, uns in unserem Einfach-Sein zu stören. Es fühlte sich wirklich alles so richtig und so vollkommen an, obwohl es nichts Besonderes gab. Und ich stellte auch fest, dass ich dieses umwerfend schöne Nichts nicht mit jedem Menschen hätte teilen und leben können. Das konnte nur mit jemandem geschehen, der in meinen Augen und meinem Herzen seine eigene Freude an all dem wortlos sehen und mich dadurch verstehen konnte. Der sich hier mit mir beim Nichtstun nicht langweilte.

Seit gut zwei Wochen bin ich nun wieder arbeiten. Jeden Morgen schminke ich mich, versuche mich am Frisieren meiner Haare, zwänge mich in diese enge Shapeware, damit meine unvollkommene Figur in den Bürokleidchen etwas geformter wirkt. Ich muss gut reden, gut telefonieren, gut schreiben und gut entscheiden. Ich muss alles gut schaffen und erledigen. Ich muss gut sein, gut aussehen und gut zur Zufriedenheit meines Arbeitgebers funktionieren. Ich muss mich wieder gut in der Öffentlichkeit benehmen und bewegen sowie mich ebenso gut an die teils sinnlosen Regelungen angesichts einer Pandemie halten. Denn dort draußen interessiert es nicht, wie ich mich gut fühle und was mir gut tut. Es geht immer nur darum für Andere gut genug zu sein.

Aber das wird sich vielleicht ändern, weil ich vor einigen Monaten für mich entschied, etwas zu verändern. Dieser wunderschöne Ausflug hat mich nochmals darin bestärkt, nicht mehr nur gut sein und funktionieren zu müssen, sondern einen Weg einzuschlagen, der mir mehr Zeit gibt, mich selbst gut zu fühlen…

… nackt und ergriffen von der Einfachheit des Nichts, das mich so geflasht, aber auch mit Leben und Liebe wieder bis zum Rand aufgefüllt hat.

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