Mein Treffen mit mir

Ich war verabredet, verabredet mit mir, irgendwo am Meer. Es war an der Zeit, mal mit mir selbst ein Wörtchen zu reden, um herauszufinden, was ich an mir ändern musste. Ich fühlte mich anders als andere, wurde von ihnen auch nicht mehr wirklich verstanden. Es galt, den Grund dafür zu finden und eventuell Lösungen.

Da stand ich nun vor diesem großen Wasser, einem Ort, den ich, aus unerklärlichen Gründen, so sehr liebe. Ich schaute weit hinaus und es war, als ob sich alles in mir öffnete, um diese Weite und Kraft, diese scheinbare Unendlichkeit, aufzusaugen. Während mich all das flutete, bekam ich Bauchschmerzen, denn es war so wunderschön, so groß und so still. Die Ostsee lag ganz ruhig da und sie spülte kleine, leichte Wellen an diesem grauen Januartag bis an meine Stiefelspitzen, so als wollte sie mich nur kurz begrüßen.

Ich schaute den langen Strand entlang. Es waren bei diesem Wetter nicht viele Menschen hier unterwegs und sie waren gut überschaubar. Ein erstes leichtes Schmunzeln überkam mich, als ich diese Menschen beobachtete. Sie waren so klein dort hinten und, wie kurios, sie glichen sich alle so unglaublich in ihren dunklen, schwarzen oder grauen Jacken. Kein Farbtupfer, kein Leuchten, was diesen trübenTag ein wenig aufgefrischt hätte. Versteh mich nicht falsch. Ich habe wirklich nichts gegen schwarze oder dunkle Jacken, aber ich suchte zwischen ihnen einen bunten Schal oder wenigstens eine farbige Mütze. No Way! Sie waren sich alle so ähnlich und wirkten auf mich wie eine kleine Herde der Spezies Mensch, deren Zusammengehörigkeitsgefühl so stark ist, dass sie jeden verstoßen würde, der ihr nicht gleicht.

Während ich langsam am Wasser entlang ging, hörte ich im Vorbeigehen Wortfetzen ihrer Gespräche. Da überholten mich die zwei Frauen, welche sich darüber einig waren, dass eine bestimmte Kollegin überhaupt nicht ins Team passt und nun endlich gekündigt wird. Zwei Männer unterhielten sich, sehr wichtig anmutend, über Versicherungen und welche Versicherungssumme am Ende der Laufzeit zu erwarten sein wird. Es kamen mir zwei Herren im gesetzten Alter entgegen, die angeregt über die politische Lage im Land diskutierten. Und dann war da noch das junge Pärchen, welches allem Anschein nach gerade eine Meinungsverschiedenheit wild gestikulierend austrug. Sie alle waren sehr schnell unterwegs, so als hätten sie irgendwem versprochen, diesen Strand mal eben in Rekordzeit abzulaufen.

Ich lächelte in mich hinein. Die Welt ist irgendwie verrückt, dachte ich mir. Oder bin etwa nur ich verrückt?

In mir brennt an diesem Ort ein Gefühl von Liebe, Glück, Zufriedenheit, oder wie immer man es nennen mag, und alle anderen schauen nicht einmal dorthin auf das Meer, auf diese Schönheit. Sie sind ständig so sehr mit irgendwelchen anderen Dingen beschäftigt. Schade. Denn mir tat sich hier wieder mal nur ein wichtiger Gedanke auf, nämlich: Dort hinten, wo der Himmel auf das Meer trifft, scheint jemand die beiden nur durch einen Strich, gezeichnet mit einem Bleistift, getrennt zu haben. Und ich fragte mich, wie schon so oft, was wohl passiert, wenn man diese Linie mit einem Radiergummi entfernt. Wird das Wasser den Himmel überschwemmen oder fällt womöglich der Himmel ins Meer? Hätten wir dann quasi den Himmel auf Erden? Jedesmal aufs Neue muss ich selber über meine irrsinnige Frage lachen. Gibt es da draußen eigentlich jemanden, der Zeit hätte, sich mit ihr und mir auseinanderzusetzen? Wer kann diese Linie, den zarten Strich, am Horizont genau wie ich sehen und den Gedanken mit mir zu Ende spinnen?

Und während ich jede Welle, die an den Strand gespült wurde, betrachtete, wurde mir klar, dass sich das geplante Gespräch mit mir erübrigt hatte. Gar nichts muss ich an mir ändern, nicht das Geringste!

Ich muss nicht denken oder funktionieren, wie Andere es gerne hätten. Ich kann jederzeit tun, was mir Spaß macht, ohne dass mein Umfeld es verstehen muss. Ich darf sagen, was ich zu sagen habe, auch wenn ich damit anderen nicht nach dem Mund rede. Auch darf ich lieben, wen und auf welche Art ich will, selbst wenn diese Liebe für andere sinnfrei und ohne „Nutzen“ zu sein scheint. Ich erlaube mir einfach weiterhin zu lachen, am liebsten über mich, während andere sich selbst so unglaublich ernst und wichtig nehmen. Ja, und ich darf auch diesen, für mich wahnsinnig beeindruckenden Ort, so stark spüren, dass vielleicht ein paar Tränen der Ergriffenheit fließen.

Und für nichts von all dem möchte ich mich ständig erklären müssen. Ich will einfach nur da sein… da sein, sehen und alles intensiv wahrnehmen, fühlen und lieben, was dieses Leben für mich so interessantes vorgesehen hat. Und dabei wünsche ich mir, dass Menschen mich auch einfach nur so sein lassen, selbst, wenn sie meinen Gedanken und meinem Leben nicht immer folgen können.

Und weißt du was? Falls auch du irgendwann einmal hier an diesem Strand bist und vielleicht sogar wie ich den Strich am Horizont sehen kannst, stell dich einfach nur wortlos zu mir. Und dann lass uns gemeinsam über die Frage grinsen, was wohl passieren würde, wenn wir den Radiergummi benutzen.

Wie du mich findest? Keine Sorge, du wirst mich ganz leicht erkennen. Ich bin die, die in ihrem leuchtend gelben Mantel nur so dasteht und staunt… über dieses phantastische Leben einfach nur immer wieder staunt.

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