Liebes-Meer

Ich bin wieder hier bei dir. Hatte dich so sehr vermisst. Eigentlich vermisse ich dich immer, wenn wir nicht beieinander sind. Ich steh ganz nah vor dir und du begrüßt mich mit einem Kuss deiner Wellen auf meine Stiefelspitzen. Wie du siehst, bin ich wieder allein zu dir gekommen. Immer noch allein. Vielleicht ist es gut so, denn dann haben wir Zeit für uns.

Du bist der Ort, der mich atmen lässt, selbst, wenn der Rest der Welt gerade den Atem anhält. Hier muss ich nicht reden und erklären. Du verstehst mein Schweigen und hörst die Stimme meiner Gedanken. Ich bin hier, damit du mir hilfst, sie zu sortieren, eventuell auch auszusortieren. Du bist der Freund, welcher mich mit seinem Wind umarmt und hält, wenn mich Gefühle zerreißen, ohne sie mir zu nehmen. Dein Rauschen ist die Antwort auf meine Fragen, über welchen mit kreischendem Gesang die Möwen kreisen.

Um diese Jahreszeit ist es hier so wunderbar still und leer. Nur du und ich. Bei dir braucht es keine Zeit, denn diese bleibt gerade einfach stehen. Deine Weite gibt meinem winzigen, begrenzten Leben so viel Raum, der mir in der Enge und Beschränktheit des Alltags manchmal fehlt. Raum für alles, was ich bin und wie ich bin. Bis nach dort hinten, wo du den Himmel berührst, ist Platz für meine Ideen, Träume und Wünsche. Dazwischen ist nichts, was all das aufhalten könnte. Deine Wellen kommen mir entgegen und reißen mich trotzdem nicht mit sich, wenn sie sich wieder zurückziehen. Sie lassen mich sein. Und es erfüllt mich mit Freude, zu wissen, dass du auch dann noch sein wirst, wenn ich nicht mehr bin.

Ja, ich kam wieder allein zu dir. Du flüsterst leise ein Warum? Nein, ich belüge dich und mich nicht. Bestimmt bin ich nicht gerne allein. Aber ich kann dir nicht mit jemandem gegenübertreten, der dich nicht mit meinen Augen sehen kann. Ich will das Gefühl von Lebendigkeit und Liebe, was mich hier durchströmt, nicht jemandem erklären müssen, dessen Herz es nicht selbst bemerkt. Ich möchte deine Kraft und Größe nicht durch sinnlose Worte und Gespräche zerreden.

Und trotzdem verspreche ich dir, dass ich eines Tages mit jemandem hier vor dir stehen werde, der einfach nur so ist, wie du. Mit jemandem, der mir unendlichen Raum und Weite für meine Spinnereien, meine Liebe und meine Träume gibt. Jemand, der mich tragen und ertragen kann, wenn ich orientierungslos und durcheinander bin. Jemand, der mich in Freude umarmt, wenn ich mich selbst nicht leiden mag. Jemand, der mich wie du küsst, nur, weil ich da bin ohne etwas sein zu müssen. Ich werde mit einem Menschen zu dir kommen, der mit mir zusammen vor Übermut und Ausgelassenheit Wellen schlagen kann, ohne mich mit sich ziehen zu wollen, der mir lediglich durch sein Dasein hilft, mich zu ordnen.

Ich werde warten, bis jemand mit dem Sturm seiner Liebe mein Haar zerzaust, mit seinem salzigen Atem mich atemlos werden lässt und der sich bei mir und dir gut aufgehoben fühlt, ohne dass ich dafür irgendetwas tun muss. So, wie auch du nichts dafür tun musst. Einfach nur, weil ich da bin, in Liebe und Begeisterung zu ihm, so wie zu dir.

Dann, wenn jemand all die Momente meiner Gezeiten, Unwuchten, aber auch die des still Dahinplätscherns lieben und mit einem Lächeln nehmen kann, werde ich wiederkommen…,

… damit du zwei Paar Stiefelspitzen und zwei Herzen mit dem gleichmäßigen Raunen deiner Wellen begrüßen und dabei voller Kraft küssen kannst.

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