Endzeitstimmung

Ich war kurz weg. Bin in eine kurze Auszeit geflüchtet. Mein Weg führte ans Meer, um mir den Kopf durch- und wirre Gedanken wegblasen zu lassen. Auf dem Weg dorthin erfuhr ich von meiner Schwester Dinge, die bisher an mir vorbeigegangen waren. Zur Erinnerung… Ich sehe nicht fern, besitze kein Radio und lese keine Zeitungen. Sollten wirklich wichtige Ereignisse die große Welt dort draußen erschüttern, erfahre ich meist schon irgendwie davon, durch Kollegen, Freunde oder eben meine Schwester.

Dass wieder mal ein Virus umgeht, war auch mir nicht entgangen, aber scheinbar seine Ausmaße. Ausmaße nicht in Bezug auf seine Ausbreitung, vielmehr auf die Psyche und das Tun der Menschen Während ich unbedacht im Auto voller Vorfreude bereits die Nase Richtung Meer streckte, erzählte meine Schwester mir gruselige Geschichten, die mir ein Bild von Endzeitstimmung vor Augen zauberten. Sie berichtete von Begebenheiten während eines Einkaufes in ihrem Supermarkt um die Ecke. Da war die Rede von Bevorratung durch Hamsterkäufe. Ich erfuhr, dass in manchen Geschäften Lebensmittel und Mineralwasser rar wurden, dass Desinfektionsmittel zurzeit wohl nicht mehr erhältlich sind und in Drogeriemärkten sogar Duschbad ausverkauft ist. Während ich gestern einen meiner Texte im Social Media hochlud, tauchte in meiner Timeline eine Warnung der Klinik meiner Heimatstadt auf. Wortlaut: „Wenn Sie unter grippalen Beschwerden leiden: Gliederschmerzen, Unwohlsein – mit Husten oder Luftnot… Betreten Sie bitte nicht das Krankenhaus…“

Mit dieser Flut an Neuigkeiten spazierte ich nun seelenruhig am Ostseestrand lang. Ich hatte einige dieser Informationen nicht verstanden. Man schafft sich also einen Vorrat an Wasser, Lebensmitteln und sogar Duschbad an, für den Fall, dass man eventuell unter Quarantäne gestellt wird? Es wird sich scheinbar en masse mit billigen Desinfektionsmitteln aus DM und Rossmann eingerieben, die zwar bekanntlich einige Bakterien beseitigen, aber Viren wohl kaum ausknocken können. Ich darf plötzlich nicht mehr ins Krankenhaus, wenn ich krank bin? Was geschieht gerade? Sind alle anderen verrückt geworden oder ich, durch meine permanente Unwissenheit über das Weltgeschehen?

Nun wurde mir klar, weshalb eine Kollegin am Donnerstag vorschlug, kommende Woche eine große Flasche Desinfektionsmittel ins Büro mitzubringen. Aber was nützt es mir, wenn ich in der Mittagspause im benachbarten Lidl den Einkaufswagen anfasse und mir anschließend das dort gekaufte Brötchen ohne Einweghandschuhe in den Mund schiebe? Wie schütze ich mich im Bus, wenn ich morgens zur Arbeit fahre? Wie verfahre ich mit dem Klientel, welches ständig unsere Kanzlei betritt? Wird man mich nun meiden oder gar wegsperren, weil ich ständig aufgrund trockener Heizungsluft und Reaktion auf Staub huste?

Ich erschrak bei den Fragen in meinem Kopf ein wenig vor mir selbst, denn in mir kamen trotz dieses Inputs durch meine Schwester weder Unruhe, Besorgnis oder gar Angst auf. Unverständnis und Kopfschütteln vielleicht, aber keine Panik. Während Supermärkte leergekauft, Drogeriemärkte geplündert und Apotheken ihren Vorrat an Mundschutz loswurden, ließ ich mir die Sonne ins Gesicht scheinen, wagte mich Ende Februar mit den Füßen in die kalte Ostsee und das Meeresrauschen wurde zum Background für Bruce Springsteen in meinen Kopfhörern.

Ich selbst lass mir keine Angst machen. Vielleicht macht mir aber die Angst der Menschen Angst, welche unüberlegt und unbedacht ausgelebt wird. Angst ist Folter und die Medien sind für mich die dazugehörigen babarischen Folterinstrumente. Deshalb meide ich sie. Angst beschäftigt und sie ist eine ergiebige Goldgrube für jene, die sie schüren.

Ich habe zur Kenntnis genommen, dass es diesen Virus gibt. Ich habe auch verstanden, dass ich mich damit infizieren kann. Aber ich habe jetzt gerade keine Angst davor, mich dann, wenn ich erkranke, auf mein Sofa zurückzuziehen, vielleicht ein paar letzte Worte in meinen Laptop zu tippen, bevor ich verhungere oder verdurste, weil die Supermärkte bereits von den Ängstlichen leergekauft wurden…

… und weil ich krank dann ohnehin keine Klinik mehr betreten darf. Wie verrückt!

Kommentar verfassen