Ich wollte (nicht) allein sein

Vergangenen Sonntag… Ich war ziemlich traurig und fühlte mich hilflos. Und ich wollte allein sein. Vielleicht wollte ich auch gar nicht allein sein, aber da war eben niemand außer mir, der mich hätte verstehen können. Ich wollte weinen, mein Gefühl meinen Gedanken zuordnen, mich sortieren und endlich Entscheidungen für mein Herz, meinen Bauch und mich selbst treffen. Ich wollte über all das mit mir selbst reden. Still!

In diese Stille platze am frühen Nachmittag mein Sohn. Da gab es seit einiger Zeit wohl ein paar Meinungsverschiedenheiten mit seiner Frau, die ihn und die junge Ehe sehr belasteten. Auch er war hilflos und verzweifelt. Um sich in Ruhe Gedanken machen zu können, wollte er eine Nacht bei mir bleiben. Einfach mal aus dem ehelichen Drama aussteigen. Er legte mir seine Problematik ausführlich und aufgeregt dar. Als gute Mutti hörte ich zu.

Kurze Zeit später klingelte es erneut an meiner Tür. Mein jüngerer Bruder kam dazu. Was zunächst wie ein spontaner Besuch aussah, entpuppte sich nach dem zweiten Kaffee ebenfalls als Notfall. Ich hörte auch hier zu und half.

Beide Jungs fragten mich mich zwar nach meinem Befinden, aber als ich davon begann zu erzählen, hatte ich doch das Gefühl, dass ihre eigenen Tragödien für sie höhere Prioritäten hatten.

Zu guter Letzt gesellte sich dann meine Tochter mit meinem Enkelkind noch dazu. Sie war auch allein zuhause und kam mit Kuchen, um dieser scheinbar illustren Runde beizuwohnen.

Da saßen wir nun alle zusammen. Es wurde über Gott und die Welt geredet. Aber weder Gott, noch die große Welt interessierten mich. Meine kleine Welt war durcheinander und ich wollte sie doch heute eigentlich mit ein paar Tränen bewässern und anschließend radikal aufräumen. Sie lachten. Sie erzählten. Zwischendurch ging mal wieder jemand in meine Küche mit: „Ich mach mir mal noch einenTee.“ Ich saß dazwischen und nickte nur. „Ja, mach dir mal noch einen Tee.“

Ich wurde erst etwas lauter und ungehalten, als meine kleine Enkeltochter Teile ihres Holzpuzzles in einer halbvollen Teetasse versenkte und scheinbar alle, außer mir, Spaß daran hatten. Meine Tochter verdrehte die Augen. „Oh Mutti, hast du gerade eine scheiß Nachricht auf deinem Handy bekommen, oder was ist mir dir los?“ Ja, ich hatte eine Nachricht bekommen und sie brachte den großen Topf meines Durcheinanders gerade zum Brodeln. Ich wollte allein sein und diese Suppe in mir drin auslöffeln oder wegschütten. Aber alle anderen wollten etwas von mir, wozu ich gerade heute nicht in der Lage war. Meine Zeit, mein Verständnis, meine Hilfe, meine Aufmerksamkeit und sogar noch gute Laune.

Meine Tochter ging, als die Abendbrotzeit für ihre kleine Maus heranrückte. Mein Bruder ging, als er bekommen hatte, was er brauchte. Mein Sohn ging als Letzter, nachdem er per Handy ein paar Nachrichten mit seiner Frau ausgetauscht und dann wohl doch Heimweh bekommen hatte. Er verzichtete auf die Nacht in meinem Gästezimmer.

Plötzlich war Ruhe. Die Stille, die ich mir seit Stunden gewünscht hatte. Da saß ich nun, hatte die Probleme der anderen gehört, mit Ratschlägen kommentiert und jedem die individuelle Hilfe gegeben, die er gerade gebraucht hatte. Aber wo war ich an diesem Nachmittag geblieben? Ich hatte funktioniert. So funktioniert, wie eine verständnisvolle Schwester und Mutter zu funktionieren hat. Ja, ich hatte einige Sätze zu meinem Gedanken- und Gefühlswirrwarr gesagt, aber interessiert haben sie wohl niemanden. Wahrscheinlich wurden sie gar nicht wahrgenommen. Denn bis heute (Dienstag) hat niemand nachgefragt.

Mein bester Freund, dem ich davon erzählte, meinte, dass es doch ein schönes Gefühl sein müsse, wenn man immer wieder für jeden, der Sorgen hat, Anlaufpunkt sei. Nein, das ist es nicht! Auf meiner Stirn steht nicht: Ich bin die Lösung all deiner Probleme. Ich bin nicht Mutter Theresa und will es auch nicht sein. Wenn ich selbst stabil und ausgeglichen bin, ist es keine Frage, dass ich helfe, wenn man meine Hilfe braucht.

Aber sorry, am Sonntag war ich mal nicht für alle stark, nicht mal für mich selbst. Ich war schwach und brach irgendwie unter der Last, Entscheidungen für mich treffen zu müssen, Ordnung in meine Gedanken und unsortierten Gefühle zu bringen, zusammen. Innerlich. Vielleicht hätte es jemand sehen können, wenn er genauer hingeschaut, vielleicht ein Mal mehr gefragt oder einen Moment länger zugehört hätte, statt mir Vorwürfe zu machen, weil ich genervt auf dieses Gewusel in meiner Wohnung reagierte.

Es ist an der Zeit, das Wort Nein in meinen Sprachgebrauch aufzunehmen. Meine Tür muss auch mal verschlossen bleiben, wenn ich dahinter gerade mein eigenes Drama bewältige. Ich denke, es ist an der Zeit, das zu lernen.

Ich wollte Sonntag allein sein. Vielleicht wollte ich aber ja gar nicht allein sein. Und doch blieb ich am Ende allein.

Allein unter Menschen, weil meine Stille niemand hören, sehen und verstehen konnte.

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