Hanna und Hugo

Ich durfte vor kurzem dem Dialog zweier Kinder lauschen. Meine Kollegin spielte mir drei kurze Sprachnachrichten vor, welche die kleinen Würmer über die Handys ihrer Mütter ausgetaucht hatten. Hanna und Hugo sind sechs Jahre alt und besuchen die selbe erste Klasse einer Grundschule.

Der kleine Hugo: „Hallo Hanna, ich bin’s, Hugo. Ich bin hier gerade auf der Couch und ess mit Mama Pralinen. Ich finde dich toll. Du bist cool. Gute Nacht. Ich lieb dich.“ (mit Luftküssen)

Die kleine Hanna daraufhin: „Hallo Hugo, danke für die schöne Nachricht. Tschüß. Ich hab dich lieb.“

Dann wieder Hugo, etwas leiser und hörbar gerührt: „Danke Hanna, dass du das gesagt hast. Tschüß.“

Ich gebe zu, mir schoss beim Hören dieser süßen, piepsigen Stimmen das Wasser in die Augen, denn der kurze Austausch der Kinder traf mich mitten ins Herz. Zwei Sechsjährige sagten sich einfach, dass sie sich gern hatten, ohne Angst, ohne Zweifel und ohne Erwartungen. Sie sprachen aus, was sie füreinander fühlten und sie erinnerten mich ein wenig an mich.

Ich bin auch so eine kleine Hanna. Wenn ich jemanden gern habe, dann sag ich es ihm. Dabei erwarte ich noch nicht einmal, dass mir dieselben Worte entgegengebracht werden. Ich möchte dann nur, dass der Andere nicht rätseln oder vermuten muss, was ich für ihn empfinde. Er soll sich sicher sein und auf meine Liebe verlassen können. In mir steckt auch jene kleine Hanna, die sich nicht zu schade ist, einem anderen Menschen zu danken. Dafür zu danken, dass er mich mag, dass er mich respektiert und wertschätzt, dafür, dass er in meinem Leben und meinem Herzen einen Platz eingenommen hat.

Während das kleine Mädchen in mir, ihrem Gegenüber oft unbedacht und ehrlich die eigenen Gefühle entgegenschleudert, fängt sich die erwachsene Frau dafür so manches Mal verbale oder emotionale Ohrfeigen ein. Da diese sehr weh tun können, habe ich schon oft versucht, mich zurückzuhalten. Ich habe gelernt, mich selbst zu zügeln und hinter den unterschiedlichsten Masken zu verstecken. Meine sicherste Maske sind Sarkasmus und viel blöd- und unsinniges Gerede. Da ist dann nämlich kein Platz für Gefühle und somit auch keine Angriffsfläche für die Ohrfeigen. Ich beherrsche dieses Spiel mittlerweile sehr gut, allerdings nie auf Dauer. Irgendwann bricht die Liebe, welche ich für jemanden in mir spüre, immer wieder aus mir heraus. Sie sprengt meine sämtlichen Verstecke und fasst dann das Gefühl in Worte, um einen anderen Menschen damit zu streicheln.

Vielleicht hat man sich im Laufe meines Lebens schon oft in meinem „Ich hab dich lieb“ ausgeruht. Vielleicht hat man es auch missbraucht und ausgenutzt. Vielleicht hat man mich dafür ausgelacht oder sogar bedauert. Aber ich kann letztendlich nicht aus meiner Haut. Ich schaffe es nicht, die kleine Hanna in mir, die sagen will, was sie fühlt, auf lange Zeit zu verstecken.

Und auch, wenn ich mein Gefühl und meine Liebe wahrscheinlich immer wieder erwartungslos und aufrichtig wie ein Kind in Worten verschenken werde, wünschte ich mir neulich beim Hören der drei Nachrichten zweier Sechsjähriger, dass irgendwann in meinem Leben auch ein Mann den kleinen Hugo in sich sprechen lassen kann. Jenen kleinen Hugo, der mein Gefühl und meine Worte schätzt und behutsam hält, der sich traut, auf mein „Ich hab dich lieb.“ ehrlich zu erwidern:

„Danke. Danke, dass du mir das gesagt hast.“

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