So, so… du willst also aufklären und etwas für den Weltfrieden tun, erzählst du mir. Dazu sitzt du abends auf dem Sofa und teilst mit deinem Smartphone Meldungen über die weltpolitische Lage. Meldungen, die du im Internet siehst und deren Quellen du nicht wirklich kennst. Ich muss schon sagen, sehr gelungen deine Aktivitäten und so ergebnisorientiert. Doch das einzige Ergebnis ist letztendlich Angst. Bist du dir dessen eigentlich bewusst?
Mich allerdings kannst du damit, mit deinen geteilten Ängsten, nicht mehr erreichen. Weißt du auch warum?
Weil man mein ganzes bisheriges Leben versucht hat, mich in Angst zu halten. Und es hat tatsächlich auch ziemlich lange gut funktioniert.
Da war die Angst vor den Eltern, die mit Strafen drohten, wenn ich nicht gehorchen wollte. Als Kind machte die Schule mir Angst vor einem gesellschaftlichen Absturz, wenn ich nicht auf allen Gebieten ausreichend Interesse zeigte. Man schürte in mir als junges Mädchen Ängste vor der Stasi, den Folgen des kalten Krieges und vor dem Kapitalismus. Man machte mir Angst vor der Geburt eines Kindes, Angst vor der Ehe, auch Angst vor einer Scheidung und Ämter machten mir Angst mit ihrer Fremdbestimmung. Da waren Jene, die mir Angst vor einem neuen Job, einflößten, Angst vor Weltuntergängen zu bestimmten Daten, Angst vor finanziellen Desastern, Angst vor Krankheiten und sogar Angst vor der Liebe.
Aber irgendwann musste ich feststellen, dass all diese Ängste unnütz waren. Ihre einzige Aufgabe war es, mich klein zu halten, mich zu konditionieren und anzupassen. Angst macht still und versklavt. Denn keine dieser Ängste wurden zur wirklich lebensgefährlichen Bedrohung für mich. Der verordnete Hausarrest der Eltern war irgendwann wieder aufgehoben, mein Schulabschluss war doch ziemlich gut, obwohl Sport und Chemie mich überhaupt nicht interessierten. Mein Kontakt mit der Stasi beschränkte sich zum Glück auf eine einzige Vernehmung und mit dem Kapitalismus lebe ich nun mittlerweile auch schon Jahrzehnte. Die Geburt meines ersten Kindes war so prägend für mich, dass ich sogar noch ein zweites bekam. Meine Ehe zeigte mir, was doch nicht zu mir passt und die Scheidung, dass ich als Frau tatsächlich gut allein das Leben gelebt bekomme. Ich arbeite heute in meinem Traumjob, die Welt ist immer noch nicht untergegangen, Krankheiten kommen und gehen, mal pleite sein, bedeutet nicht, nicht mehr überleben zu können und Liebe… ja, vor Liebe fürchte ich mich auch nicht mehr. Warum also sollten mir nun Halbwahrheiten der Medien Angst machen? Das können sie nicht mehr, erst recht nicht mit ihren Meldungen über das Krieg-und-Frieden-Spiel dort draußen.
Erneut werden Ängste geschürt und Menschen von sich selber abgelenkt, durch Nachrichten, die niemand mehr in Wahrheit, Fake-News, Propaganda oder was auch immer unterscheiden kann. Nur du, du behauptest, die Wahrheit in dieser Welt zu kennen. Vom Sofa aus, in Jogginghose, mit dem Daumen auf dem Touchdisplay deines Handys willst du diese Welt retten und die Menschen aufklären und verbreitest damit doch nur Angst.
Ich weiß aber mittlerweile, dass ich mit dieser Angst wieder so wahnsinnig viel Zeit vergeuden würde. Zeit zum Lachen, zum Weinen, zum Fühlen, zum Staunen, zum Lieben, zum Genießen, zum Erfahren… Zeit zum Leben.
Resistent gegen den Medienwahn sein, bedeutet nicht Gleichgültigkeit. Ich verabscheue und verurteile Gewalt, Krieg und Töten genauso wie du. Aber mir ist bewusst, dass ich selber nichts daran ändern kann. Alles dort draußen passiert ohne mein Wollen oder Nichtwollen und immer wiederkehrend seit Jahrtausenden. Deshalb muss ich auch nicht herausfinden, was an den Geschichten wahr ist und was nicht. Und ich hoffe, dass auch viele andere sich durch solche Beiträge wie deine, nicht in Angst und Schrecken versetzen lassen.
Und weißt du, was ich stattdessen, trotz dieser sich zuspitzenden innen- und weltpolitischen Lage, in der vergangenen Woche getan habe? Ich bin barfuß über Gras gelaufen, habe abends den schönsten Sternenhimmel bestaunt, mir pinkfarbene Blumen auf den Balkon gepflanzt und mit traumhafter Musik auf den Ohren ganz allein in meiner Wohnung getanzt.
Denn bis zu einer von mir nicht zu beeinflussenden Katastrophe auf diesem verrückten Planeten, kann ich entweder aus Angst erstarren oder aber dieses wunderbare Leben zulassen und einfach leben und lieben, solange es möglich ist.