Einsamkeit ist Suche

Manchmal überfällt mich aus heiterem Himmel die Einsamkeit. Wie ein riesiges Tuch wirft sie sich plötzlich über mich und schnürt mich ein. Ihr Timing ist für mich nicht vorhersehbar.

Es gibt Tage, an denen sitzt sie bereits am Morgen neben mir am Frühstückstisch, während ich beim Kaffeetrinken auf eine Wand, statt in ein ebenso zerknittertes Gesicht schaue. Sie drängt sich mir unangemeldet auf, wenn ich in der Sonne am See sitze, dabei den Moment genieße und ihn nicht teilen kann. Oftmals grinst sie mich nach einem fröhlichen und ausgelassenen Tag an, wenn ich nach Hause komme, die Wohnungstür hinter mir schließe und sich außer ihr niemand über mein Heimkommen freut.  

Diese Einsamkeit bedeutet aber nicht immer nur die Abwesenheit anderer Menschen. Ich kann mit Freunden, Familie oder Kollegen zusammen sein, reden und Zeit verbringen. Wenn Gespräche und Menschen mich nicht mehr erreichen oder berühren, weil meine Lebensart, meine Werte und Wahrnehmungen kein passendes Gegenüber erkennen, wenn es keine Gemeinsamkeiten gibt, dann umarmt mich die Einsamkeit inmitten von Menschen ebenso innig.  

Manchmal bin ich nur allein, nicht einsam. Das ist gut. Alleinsein brauche ich hin und wieder, um mich in dieser lauten und enorm schnelllebigen Welt wieder zu zentrieren und mich an mich selbst zu erinnern. Das ist die Zeit, in der ich mich und meine eigene Lebendigkeit spüren kann. Das Alleinsein ordnet Gefühle und Emotionen ohne jeglichen Einfluss von außen. In diesen Momenten brauche ich nur mich.

Aber Einsamkeit ist Sehnsucht. Es ist der Wunsch nach Geborgenheit, nach einem anderen Heim- und Ankommen als das nach der täglichen Arbeit. Es ist der Schrei nach einer Seele, die meine in ihr Dasein einlädt und sich selbst in meinem gut aufgehoben fühlt. Es ist die stille Frage, wo ich diese Seele finde, in deren Schoß ich mich ohne Erklärungen zusammenkauern kann und gehalten werde, wenn mich Ängste, Traurigkeit oder Hilflosigkeit plagen. In den Momenten der Einsamkeit suche ich Augen, die mit mir lachen und ein Herz, das ausgelassen mit mir tanzt, wenn ich mich für etwas begeistere. Ich suche dann eine Hand, die mich hält, ohne mich festzuhalten. Einfach nur, um mich ehrlich auf guten, holprigen oder verrückten Wegen zu begleiten.

Ich glaube, meine Momente der Einsamkeit sind Sehnsucht nach nichts weiter, außer Freude aufeinander und ein Dasein füreinander. Sie bleibt der Traum von einem Flug ohne bestimmtes Ziel, auf dem Pilot und Copilot sich wortlos verstehen und ergänzen, weil sie die Weite des Himmels und das gemeinsame Fliegen an sich ebenso wie die damit verbundene grenzenlose Freiheit im Miteinander gleich lieben.

Die Einsamkeit ist für mich kein Dauerzustand. Sie erscheint in Momentaufnahmen ungefragt und unerwartet. Mir bleibt dann nichts, als ihr den Raum zu lassen und mich ihr zu widmen.

Und doch muss ich ihr auch manchmal höflich die Tür weisen, damit sie nicht auf die Idee kommt, sich für längere Zeit bei mir einzunisten. Denn schließlich blieben dann Sehnsucht und Traum auch auf Dauer nur Sehnsucht und Traum, ohne Chance aufs tatsächliche Erleben.

Kommentar verfassen