Womit hab ich das verdient?

Vor einigen Jahren traf ich aus dem Nichts auf einen Menschen. Bäm! Es war wie ein Feuerwerk, denn wir versprühten in leuchtender Begeisterung füreinander die grellsten Farben. In diesem Kennenlernen stellte er mir die Frage: „Womit habe ich eine Frau wie dich verdient?“ Ich war damals ungemein irritiert. Jemand, der mich durch seine Art außerordentlich faszinierte, glaubte, dass er mich, die sich selbst für unscheinbar und langweilig hielt, nicht verdient hätte. Ich sah in mir nichts Besonderes und konnte ebenso nicht glauben, welche geniale Begegnung mir mit ihm geschehen war; dass ich so jemanden verdient hätte.

Wir kamen aus total verschiedenen Welten und Vergangenheiten. Jeder brachte unausgesprochen seine eigenen bisherigen zwischenmenschlichen Erfahrungen mit. Aber was hatten wir denn bis dahin erlebt, dass wir beide glaubten, wir hätten uns nicht verdient?

In den Jahren bis heute passierten viele Dinge. Schöne, traurige, ausgelassene, schmerzhafte und auch hilflose Momente sorgten dafür, dass wir uns immer mehr in einer Tiefe und Nähe berührten, die manchmal kaum auszuhalten war. Wir machten aneinander neue Erfahrungen und lernten die Feinheiten, aber ebenso die Großartigkeit der Individualität des Gegenübers immer mehr kennen, ob uns das nun gefiel oder nicht. Die unterschiedlichsten Ereignisse und Treffen auf einer bis zu unserem Kennenlernen kaum ausgelebten Ebene ließen wir immer wieder zu. Wir tauchten neugierig in das Leben, aber auch die Einstellung des Anderen dazu, ein.  

Die Frage, ob wir einander verdient haben, stellt sich heute nicht mehr. Wir haben uns in den vergangenen Jahren voreinander entblättert und aus unserer Schale gepellt. Dabei haben wir uns (wahrscheinlich meist ungewollt) auch an Stellen berührt, wo es sehr weh tat. Manchmal tun wir es heute noch. Da, wo wir Narben nochmal aufrissen, aber auch, wo wir nur mit unserer Anwesenheit und unserem Sein einander streichelten, trafen wir uns wirklich. In diesem Schmerz, aber auch in den sanften Berührungen, haben wir uns irgendwie und irgendwann an uns selbst erinnert. Immer mehr zu erkennen, dass wir nicht nur durch das Anhimmeln, die Aufmerksamkeit und das Verliebtsein eines anderen etwas Großartiges und Einzigartiges sind, bedurfte vielleicht unserer Begegnung und der langen Zeit auf holprigen Wegen.

Neulich sagte ich zu diesem Menschen: „Ich brauchte damals die Begegnung mir dir.“ Und er sagte nur: „Ich brauchte dich auch.“ Wozu wir uns im Einzelnen gegenseitig brauchten, müssen wir gar nicht aussprechen. Denn wir sehen uns. Wir nehmen den Anderen intensiv war. Dabei erkennen wir, wie er damals war und wer er heute ist. Sicherlich hat uns das Leben, aber auch ein Großteil unserer Begegnung hierhergetragen.  

Nach mehreren Jahren können wir nun sagen, dass wir einander nicht mehr brauchen. Und das ist das Wunderbarste, was passieren konnte. Nämlich, dass wir uns nur noch gegenseitig sein lassen können, genauso unvollkommen und unperfekt, wie wir wirklich sind. Kein Gefallen-Müssen mehr, kein Verstecken voreinander, sondern pure Nacktheit dessen, was ich bin – was er ist. Mit all unseren Eigenarten, Merkwürdigkeiten sowie Träumen und Wünschen ergänzen und begleiten wir uns nur noch. Wir wissen voneinander die Schwächen, ohne sie korrigieren zu müssen. Wir sehen die jeweiligen Stärken und nutzen sie für Gemeinsamkeiten, statt sie zu neiden oder klein zu drücken.

Dort wo manch andere Begegnung nach Jahren in routinierter Gewohnheit und Langeweile endet, erlebe ich immer wieder aufs Neue Freude, Ideen und Begeisterung. Allerdings auf eine andere Art und Weise als am Anfang unsere Begegnung. Die stillschweigende Intimität, die sich zu diesem Menschen entwickelt hat, fühlt sich in manchen Momenten einfach nur magisch an und hat auch keinen Platz für eine Bezeichnung, die sie in irgendetwas begrenzen könnte. Sie ist unbeschreiblich wertvoll und braucht keine Euphorie oder lautes Feuerwerk mehr. Ihre eingekehrte Stille ist ein ungewöhnlicher Zauber, den man bei jedem Aufeinandertreffen wie einen Hauch auf der Seele spürt.

Ja, wir haben es verdient. Alles. Diese Erfahrung und auch das Staunen über- und miteinander. Vor allem aber, auf jemanden getroffen zu sein, der einfach nur da ist, in unserem Leben, und dessen Wertschätzung wir nicht etwa durch große Worte hören, jedoch im Verhalten uns gegenüber immer wieder spüren dürfen. Und das sogar, obwohl jeder von uns weit von Perfektionismus entfernt ist. Vielleicht sind wir einfach für- oder miteinander perfekt.

Wir haben verdient, eine zwischenmenschliche Verbindung zu erfahren, in der wir in absoluter Freiheit fliegen und leben, uns entfalten können, weil uns der Andere nie klein- oder sogar am Boden halten will. Wir haben verdient, uns in einem Raum mit jemandem wohlzufühlen, der keine Wände hat und uns trotzdem das Gefühl von Geborgenheit und Annahme gibt. Diesen Raum, wo wir uns nicht mehr verstellen oder erklären müssen, sondern wild und übermütig tanzen oder auch mal eine Zeit lang weinend am Boden liegen dürfen.

Ich selbst kann heute sagen: Ich brauchte in der Mitte meines Lebens die Begegnung und seltene Erfahrung mit einem Menschen, der freiwillig gerne in meinem Leben sein möchte und mich ebenso, ohne irgendwelche Bedingungen an mich zu stellen oder etwas an mir verändern zu wollen, in seines eingeladen hat.  

Das Abenteuer, das Vertraut Sein, unseren Selbstwert und die Magie einer solchen Verbindung, haben wir uns jedoch nicht einfach nur verdient. Das alles haben wir uns auf langem Weg, entgegen jeglichen Vorurteilen, Ablehnungen und Unverständnisses, ganz allein und mutig erschaffen.

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