Die Lüge

Ich gebe dir das Gefühl, ehrlich zu sein. Ich lasse dich glauben, dass ich dir immer die Wahrheit sage und dass du mich kennst. Und doch bin ich eine verdammte Lügnerin.

Dir scheint es, als sei ein Gespräch mit mir eine Momentaufnahme. Ich wechsel die Themen und quassel wild drauf los, als sei das bereits Gesprochene längst wieder verhallt. Manchmal schweige ich einfach und lasse deine Worte unkommentiert stehen, damit du glaubst, sie haben keine Bedeutung für mich. Das ist gelogen. Ich höre sehr genau zu, reagiere lediglich in diesem Augenblick nicht auf das Gehörte. Weißt du, manchmal gefällt mir nicht, was ich höre und auch nicht, was ich dabei fühle. Aber ich möchte mich nicht für das rechtfertigen und erklären müssen, was mich traurig macht, berührt oder gar schmerzhaft trifft. Ich lüge, damit du weiterhin frei reden kannst und dich meine Gedanken und Emotionen dabei nicht aufhalten. Ich will dich nämlich immer hören und sehen, wie du wirklich bist.

Es mag sein, dass mein Leben leicht und unbeschwert auf dich wirkt. Ich versuche, jeden Moment frei und ungezwungen voll auszukosten und ihm immer etwas Besonderes zu geben. Aber ich habe auch Träume, Wünsche und Sehnsüchte, die ich in mir trage und die manchmal sehr schwer sind. Diese Schwere kann man nicht sehen. Sie zieht mich hin und wieder zu Boden und ich brauche dann so wahnsinnig viel Kraft, die ich mir, von allen ungesehen, selbst geben muss, um nicht liegen zu bleiben. Ich mache dir mit meiner Unbeschwertheit etwas vor. Du siehst eine Lüge.

Aus jeder Situation kreiere ich einen Spaß. Lachen nimmt manchem Moment die (meine) Traurig- und Ernsthaftigkeit. Ich will diese nicht zeigen oder darüber debattieren und schon gar nicht möchte ich sie auf dich projizieren. Ich wirke oft ausgelassen, fröhlich und wie ein Wirbelsturm lachend durch das Leben fegend. Und doch zerreißen mich Situationen, Worte oder Empfindungen manches Mal mit ungeheurem Schmerz. Aber den Tränen der Hilflosigkeit, Verzweiflung oder des Nicht-Verstehens gebe ich nur am Ende des Tages ihren benötigten Raum, dann, wenn ich mit ihnen allein bin. Nein, ich lache nicht immer ehrlich. Es ist manchmal ein falsches Lachen.

Es scheint verrückt, aber ich belüge immer nur jene Menschen mit mir, die mir etwas bedeuten. Ich bin nicht ehrlich zu denen, die ich liebe, die mir verdammt wichtig sind und die ich so wahnsinnig fest im Herzen trage. Warum das so ist? Ich verstehe mich dabei meist selbst nicht. Vielleicht lache ich, damit sie auch lachen können. Vielleicht bin ich lebendig, damit auch sie Lebensfreude fühlen. Vielleicht schweige ich, damit sie reden können. Vielleicht lüge ich, damit sie mich mit all meinen Gedanken, Emotionen und Gefühlen nicht tragen müssen. Vielleicht befürchte ich, ihnen zu schwer zu sein.

Aber glaub mir, egal, welche meiner Lügen dich gerade erwischt…

Am Ende belüge ich auch immer mich selbst.

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