Dein Versprechen

Ein Freund, der weiß, wie gerne ich Musik höre, schickte mir neulich einen Musiktitel. Er dachte sich nichts dabei und hatte keine Ahnung, was dieses Lied mit mir machen würde. Aber der Liedtext berührte mich so sehr, weil er dich für ungefähr 3 Minuten zurückbrachte.

Es ist nicht das erste Mal, dass wir uns begegneten und wieder voneinander gingen. Jedesmal hatten wir wunderschöne Zeiten miteinander, nur um uns in der schönsten wieder zu verlieren. Niemand hat verstanden, warum das mit uns geschieht. Auch wir nicht. Aber diesmal ist irgendetwas anders.

Ich habe dir nicht wie nach all den anderen Abschieden noch Worte hinterhergeschrieben. Mich dir nochmals zu erklären, war mir nicht mehr wichtig. Wozu etwas wiederholen, was du alles schon weißt? An meinem Gesagten ändert sich nichts. Ich muss dir auch nichts mehr beweisen. Will ich jemanden halten, der nicht gerne und freiwillig bei mir ist? Nein, manchmal braucht es eben viel Liebe, jemanden weiterziehen zu lassen, seiner Suche nicht im Weg zu stehen.

Anders ist auch, dass ich dieses Mal nicht mehr traurig bin, weil du fort bist, sondern verdammt dankbar, dass du wieder einmal da warst. Aber Vorsicht, auch Dankbarkeit kann Tränen hervorrufen.

Nein, jetzt gerade vermisse ich nicht deine Lügen, von denen du glaubtest, dass ich sie nicht bemerke. Ich vermisse auch nicht deine letzten lauten, ungerechten Worte. Aber ich vermisse bei dieser Musik den Menschen, der mit mir die Lebensfreude teilen konnte; der im eigenen Schmerz mit mir staunte, lachte und verrrückte Dinge tat; der sich ohne große Diskussionen auf meine Ideen einließ und mich mit seinen eigenen überraschte. Ich denke gerade an den Mann, in dessen Arm es schön warm war, wenn mich die Kälte im Außen frieren ließ und dessen Augen mich manchmal anstrahlten, ohne dass der Mund sprechen musste. Ich vermisse den, der statt in einer sicheren, warmen Komfortzone zu liegen, viel lieber nachts mit mir draußen saß und den frischen Wind, diesen Atem des Lebens, inhalierte. Ich vermisse dich, der sich Sonntagfrüh spontan mit mir in den Zug setzte, nur um in der nächsten Hafenstadt ein Fischbrötchen zu essen. Ich vermisse dein „Ich hol dich ab.“ Während dieses Lied im Hintergrund spielt, vermisse ich auch den Augenblick, als wir beide nachts mit den Beinen im Meer standen, uns ganz fest umarmten und du sagtest: „Lass uns so für immer stehen bleiben.“ Ich tat es. Ich blieb an deiner Seite stehen. Immer.

Weißt du eigentlich, dass mich jeder Lkw, der auf der Straße an mir vorbeifährt, in jene Nächte mitnimmt, in denen ich mit dir über die Autobahn fuhr und der riesige Vollmond scheinbar vor uns auf der Fahrbahn fiel? Kannst du dir vorstellen, dass über dem See immer noch unser gemeinsames Lachen hallt? Es ist einfach dort geblieben. An seinem Ufer liegen sogar immer noch der Duft unseres Rotweins und der Rauch unseres kleinen Grills in der Luft. Auch die Wellen des Meeres schlagen weiterhin flüsternd an den Strand. Es ist, als ob sie uns noch ein Mal umarmen möchten, so wie in den Nächten, in denen die Sterne klar und wir so still waren. Ich habe gesehen, wie die Sonne beim Aufgehen immer noch lächelt, weil sie sich an unser gemeinsames Staunen erinnert und wie sie beim Untergehen weiterhin sekündlich ihre Farben wechselt, weil sie noch sehr gut weiß, wie sie uns damit beeindrucken konnte. Ich bin mir auch sicher, dass die Markise deines Balkons sich immer noch zusammenrollt, um nicht sehen zu müssen, was wir dort Verrücktes angestellt haben. Dieses Lied bringt mich gerade jetzt auch dorthin, wo du so nah bei mir lagst, dass ich deinen Herzschlag in meiner Brust spüren konnte, deine Hände meine Haut berührten und dein Arm mich die ganze Nacht fest hielt, so als könne mir in deiner Nähe nie etwas Böses widerfahren. All diese Zeiten mit dir werden mich stets begleiten. Sie gehören zu mir und auch zu dir.

Keiner konnte mir bisher die Frage beantworten, weshalb unser Miteinander nie auf Dauer Bestand hatte. Auch das ist nun anders. Ich brauche keine Antwort mehr darauf. Stattdessen frage ich mich, ob du an dem Platz, an welchem du nun sitzt, vielleicht wirklich besser aufgehoben bist, als an meiner Seite. Dort ist es gewiss ruhiger, vorhersehbarer, kalkulierbarer und auf dich abgestimmt. Ich kann mir vorstellen, dass du dort hervorragend um- und versorgt bist. Vielleicht wirst du auch gebraucht oder du brauchst und es ist so für dich bequemer. Das ist okay. Ich wünsche mir jedoch insgeheim, dass du dich nie anpassen, in Abhängigkeiten begeben oder zurechtbiegen lassen musst, nur damit es für dich gemütlich und sicher bleibt. Ich wünsche dir so sehr, dass du im Zauber des Neuen nicht wieder deinen ganz eigenen Raum aufgibst, den du dir erschaffen hast. Ich möchte gerne, dass du stets du selbst bleiben kannst, so wie ich dich erleben durfte. Deshalb, pass gut auf dich auf!

An meiner Seite war es nämlich nicht einfach und planbar. Ich bin zu lebenshungrig, zu neugierig und zu ungeduldig. Ich möchte alles sofort umsetzen, weil ich nicht weiß, ob es mir morgen noch möglich ist. Und ja, ich möchte dabei meine Liebe ausleben, ohne Zurechtweisungen möchte ich umarmen dürfen, wann und wo mir danach ist. Ich möchte Nähe so tief, dass es weh tut, weil Oberflächlichkeiten mich langweilen. Mit mir ist es nicht sicher, weil ich zu wenig Angst und zu viel Mut habe. Wirklich sicher war nur eines: Meine Liebe. Diese Liebe, die du zum Schluss belächelt hast, war der Ort, an dem du jederzeit willkommen warst, obwohl sie all deine Unzulänglichkeiten und Eigenarten sah. Sie hat mich gestärkt und in mir diesen ungeheuren Mut hervorgebracht, dir nach jedem Gehen ein Wiederkommen zu ermöglichen. Hat sie dir Angst gemacht? War sie nicht auszuhalten?

Ja, diesmal ist alles anders. Ich wollte all deine schönen Worte vergessen, weil ich nicht mehr einordnen konnte, welche davon ernst gemeint waren. Und doch glaube ich an eines deiner Versprechen. Ich vertraue irgendwo tief in mir deinem „Ich werde dich abholen.“ Egal, in welchem Zusammhang du dieses ein letztes Mal gesagt hast, es klang so ehrlich, so, als ob es daran nichts zu zweifeln gäbe. Ich kann nicht erklären, weshalb ich ausgerechnet diesem Versprechen glaube. Ich bin mir aus irgendeinem Grund sicher, dass dich eines Tages der Mut findet, der mich nun nach all den Jahren verlassen hat. Und dann wirst du es tun. Du wirst mich dort abholen, wo du mich stehengelassen hast. Wahrscheinlich werden wir uns in die Augen schauen und sagen: „Komm, lass uns den Unfug einfach machen.“

Bis dahin geht das Leben weiter. Wir leben weiter. Ich ohne dich, du ohne mich. Nur manchmal zünde ich mir abends das Lämpchen an, das du mir einst geschenkt hast und erinnere mich lächelnd dabei an dein „Vergiss nie: Egal, was mit uns in diesem Leben geschieht; für dich wird in meinem Herzen immer ein kleines Licht brennen.“

Und die drei Minuten eines Liedes, das mir ein Freund total unbedacht schickte, gehen dabei sehr schnell vorbei.

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