Das Monster an deiner Seite

Da saß ich nun heute regungslos auf der Bettkante und starrte so ewig in mein Zimmer. Ich weiß nicht, wie lange ich da so untätig einfach vor mich hin weinte. Ich erlag für diese gefühlte Ewigkeit des Vor-Mich-Hin-Starrens vollkommen der Hilf-, Rat- und Fassungslosigkeit. Das Resultat meines sich überschlagenden Gedankenkonstrukts war eindeutig. Menschen sind Tiere. Aber nein, Tiere verhalten sich intuitiv und meist sozial, sogar empathisch, ihren Artgenossen gegenüber. Der Mensch ist schlimmer, denn er ist berechnend und so verdammt egozentrisch. Menschen sind keine Tiere, sondern Monster. Und sie weilen manchmal direkt neben uns.

Wir leben alle in einem sozialen Umfeld. Da sind Freunde, Bekannte, Familie und Partner, die unseren Weg begleiten. Aber im Laufe unseres Lebens verändern und formen uns Geschehnisse und Erfahrungen. Dann kann es passieren, dass man scheinbar nicht mehr die selbe Sprache spricht, sich nicht mehr versteht und einst gemeinsame Wege sich spalten. Es trennt sich. Das zu akzeptieren kann sehr schwer sein. Und nicht jeder Beteiligte ist in der Lage, in diese, manchmal auch schmerzhafte, Akzeptanz zu gehen. Plötzlich, wenn erkannt wird, dass der Andere sich verändert und nicht mehr so funktioniert und kooperiert, wie man es gewohnt war und natürlich auch vorausgesetzt hat, weil dieser Mensch sich durch Ohrfeigen des Lebens weiter- oder in eine andere Richtung entwickelt hat, wird so ein Monster geboren. Es braucht keine neun Monate Schwangerschaft um ans Licht zu kommen. Das geschieht von einem Moment auf den anderen.

Da wird gehasst, erniedrigt, gedemütigt und getreten, wie nach einem tollwütigen Hund. Man will verletzen und zum Abschied nochmal so richtig weh tun. Da wird alles an sich gerissen und der Andere wirklich wie ein Hund, ohne Napf und Körbchen ausgesetzt. Die eigene verletzte Eitelkeit, aber auch Unzulänglichkeit, Unselbstständigkeit und Bequemlichkeit wird auf den Anderen projiziert. Da ist ja schließlich ein Schuldiger für das persönliche Unglücklichsein, und Schuldige werden erbarmungslos und ohne Rücksicht eliminiert. Da wird jemand für das bestraft, was er im Leben erfahren, was ihn verändert und geprägt hat. Wenn er nicht mehr in gewohnter Weise funktioniert, kann man sich auch nicht mehr wie bisher auf ihn verlassen. Man kann sich in seinem Schatten nicht mehr vor dem Leben schützen. Er wird so nicht mehr benötigt, also kann er weg. Sofort! Er bekommt dann nicht einmal die Chance, vor dem endgültigen Verabschieden seine existentielle Situation neu zu organisieren und zu koordinieren. Er muss im schlimmsten Fall nur mit dem gehen, was er tragen kann und egal wohin, Hauptsache weg. Wo er heute Nacht schläft, interessiert nicht mehr, wenn man scheinbar zufrieden mit seiner eigenen Überheblichkeit und Genugtuung im ehemals gemeinsamen Bett liegt. Bei solchen Trennungen werden Menschen ins Bodenlose geworfen. Sie werden eben weggetreten, wie auch ein tollwütiger Hund. Wer dann nicht stark genug ist, wird sehr lange brauchen, um sich am Rand dieser Bodenlosigkeit wieder hochzuziehen. Wenn man alles verliert, und das Leben sowie auch die Existenz quasi auf Null gesetzt werden, braucht es Mut und Kraft, um die Startlinie ein weiteres Mal zu betreten und neu durchzustarten.

Ich habe in den letzten Tagen eine ähnliche Geschichte aus der Ferne miterleben müssen. Ich war nicht dabei und weiß auch nicht, was getan, gesagt oder sich vorgeworfen wurde. Aber das spielt für mich auch keine Rolle. Egal, was und wie es dazu gekommen ist, man muss sich doch nicht zum Schluss einer Begegnung (egal, welcher Art) gegenseitig das Messer in den Rücken jagen. Es sollte niemand, aus verletztem Stolz oder Enttäuschung eine Trennung nutzen, um die Existenz oder die Gesundheit des Anderen aufs Spiel zu setzen.

Vor vielen Jahren beeindruckte mich eine TV-Komissarin, als sie sagte: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit.“ Ja, diese Gleichgültigkeit kann bei Trennung ganz gefährlich werden; dann, wenn uns das Leben des Anderen so egal wird, dass wir bereit sind, ohne Gewissen und ohne Rücksicht darauf herumzutrampeln, blind vor Schuldzuweisungen und angetrieben von unserer angekratzten Wichtigkeit.

Wir neigen dazu, uns über die Grausamkeiten des Weltgeschehens zu empören. Wir diskutieren und debattieren Auseinandersetzungen und Konflikte auf anderen Kontinenten. Dabei übersehen wir großzügig, dass wir die grausamsten Kriege selber führen; mit den Menschen, die um uns sind, die einen Teil des Weges mit uns gingen und die wir erbarmunglos wegstoßen, wenn sie uns nicht mehr nützlich sind.

Ja, ich saß heute einfach so da und habe geweint, weil ich mich hilflos und ratlos fühlte, aber vor allem, weil ich die wirklichen Monster nicht mehr dort draußen in der Ferne erkenne, sondern so nah sehe. Sie leben fröhlich unter uns…

… und manchmal schlummern sie sogar lange Zeit unerkannt mit uns in einem Bett.

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