Auszeit

Ein ganz normaler Tag, irgendwo in der Innenstadt. Das Leben tobt, lärmt, an diesem Platz, wo das Leben sie alle zusammenbringt, umzäunt von Einkaufspassagen und -centern. Es ist so wahnsinnig laut und ich fühle Eile, Stress, Ungeduld. Ich höre Musik, woher auch immer sie kommt.

Plötzlich wird es still. Jemand hat den Ton stumm geschaltet. Keine Stimmen, keine Geräusche, nur diese Musik. Alles ist noch da, nur ich bin nicht mehr mittendrin. Ich stehe und schaue. Jemand berührt mich beim Vorbeihetzen, aber ich nehme ihn nicht wahr.

Da läuft ein Film, ein Stummfilm mit mir als einzigen Zuschauer. Nun kann ich sehen, woher die Musik kommt. Ein Mann, Ende Vierzig, steht dort vor dem großen Schaufenster in bunter Kleidung und spielt mit seinem Saxophon „Killing me softly“, so schön, so laut. Es ist das Einzige, was ich höre. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der Einkaufsstraße, sitzt ein älterer Herr mit seinen beiden weißen Schäferhunden. Er bettelt, wie makaber… vor einem Geldinstitut. Es scheint, als würde der Saxophonspieler für ihn spielen.

Die Menschen laufen vorbei. Sie haben Pläne, Ziele, die sie jetzt umsetzen müssen. Kaum Lächeln, leere Blicke. Sie gehen nebeneinander, ihre Münder bewegen sich, also reden sie wohl, aber ohne sich dabei anzusehen. Ich glaube sie reden, ohne sich etwas zu sagen zu haben. Niemand schaut dabei auf den Saxophonspieler, niemand auf den Bettler. Kinder jammernd an den Händen der Eltern.

Und dann bleibt doch ein Mann bei dem Bettler stehen, legt ihm Geld in die Schachtel und spricht. Ich kann nichts hören, aber ich weiß, dass er fragt, ob er die Hunde streicheln darf. Der Bettler nickt und der fremde Mann beugt sich hinunter und streichelt diese schneeweißen Hunde, die wie Kerzen ihr Licht in das Grau drumherum ausstrahlen. Lange streichelt er die Tiere und ich darf lächelnd zuschauen. Da ist für einen Moment Liebe, Verständnis und Unvoreingenommenheit.

Außer dem Saxophon ist da nichts, nur Stille, Ruhe, Frieden in diesem Stummfilm, welcher lediglich vom „Killing me softly“ begleitet wird. Die Musik strömt durch meinen ganzen Körper. Der Klang und die Melodie lassen mich so wahnsinnig viel Wärme spüren während des Betrachtens dieses kalten Schwarz-Weiß-Films. Ich scheine zu glühen und möchte so gerne die Wärme teilen, denn ich sehe den Film nicht… ich fühle ihn.

Dann schaue ich mich um in diesem Kinosaal und frage mich, ob ich die einzige Zuschauerin bin. Obwohl mein Mund zubleibt, schreie ich da raus: „Bleibt stehen, einen Moment und schaut auf diese Leinwand. Seht die Liebe zur Musik auf der einen und die Verzweiflung auf der andern Seite dieser Straße. Nehmt die Ruhe der weißen Riesen dort auf der Decke wahr und dann seht euch bitte selber zu!“ Aber ich bin allein, niemand ist da, der das Selbe sieht oder fühlt. Das macht mich traurig.

Und dann ist der Film zu Ende, genauso aprupt wie er begann. Der Tontechniker hat die Lautstärke wieder hochgedreht. Stimmen, Kinderschreien, die Durchsage der Straßenbahnen, das Geräusch sich öffnender Bustüren, das Rascheln voller Einkaufstüten.

Ich spiele wieder mit, bin wieder mittendrin. Aber ich bin still. Noch einmal auf die strahlend weißen Hunde schauend, dem Saxophonspieler zulächelnd, drehe ich mich um und gehe… raus aus dieser Szene, beleitet vom immer leiser werdenden „Strumming my pain with his fingers, singing my life with his words…“

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