Angst vor dem Mut

Der Chef fragte in der vergangenen Woche, wen er von uns Mitarbeitern zum Impfen anmelden solle. Die meisten von uns hatten eine klare Antwort parat. Dann wurde die Kollegin gefragt, welche die gute Seele des Büros ist. Sie hält uns den Rücken frei, organisiert, und kümmert sich darum, dass es uns bei unserer Arbeit gut geht. Sie möchte es stets allen recht machen. Auf die Frage des Chefs schüttelte sie zaghaft und mit entschuldigendem Blick den Kopf. Es folgte auch eine kurze Erklärung: „NOCH nicht.“ Später sagte sie zu mir, dass sich ihr Nein komisch angefühlt habe. Ich musste lächeln. „Aber geil, oder?“ Ist sie das erste Mal mutig gewesen?

In den vergangenen Tagen fiel in Gesprächen, die ich führte, öfter das Wort Mut. Aber was ist eigentlich Mut und brauchen wir ihn wirklich? Mutig zu sein, bedeutet, sich gegen alle Ängste und Zweifel für etwas zu entscheiden und diese Entscheidung dann auszuleben. Es kann durchaus dazu führen, es anderen plötzlich nicht mehr recht zu machen oder nicht verstanden zu werden. Aber ist dieser sogenannte Mut nicht eher ein Folgen und Sich-Hingeben? Ich höre schließlich gerade auf das, was in mir drinnen flüstert oder mich regelrecht anschreit. Da ist etwas, was ausgelebt werden will oder sich auf heftigste Weise gegen etwas sträubt. Ich folge meinen Impulsen und meiner eigenen Intuition. Wenn es sich für mich in diesem Moment richtig anfühlt, gebe ich mein Ja oder andersherum eben mein Nein. Ich entscheide in meinen mutigsten Augenblicken aus dem Bauch heraus. Der Verstand, der es gewohnt ist, auf das zu reagieren, was allgemein als richtig oder falsch angesehen wird, braucht keinen Mut. Ihm zu folgen, ist der einfachste Weg. Wenn er aber leise wird, weil ihn der Schrei tief in mir übertönt, bleiben Kraft und Stärke die mich von innen nach außen antreiben und nicht mehr umgekehrt. Ist das mittlerweile Mut? Was stand ihm bisher im Weg?

Es ist unsere Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen, gegen den Strom zu schwimmen und damit aus der Reihe zu tanzen. Wir fürchten uns auch davor, mit ihr schmerzhaft hinzufallen. Aber wie oft sind wir denn als kleine Kinder beim Laufenlernen gefallen? Nie sind wir liegengeblieben, stattdessen immer wieder aufgestanden, vielleicht mit Schrammen und einer Beule, und doch sind wir einfach unserem Impuls gefolgt, unserem Wunsch, weiter zu laufen. Dafür brauchte es keinen besonderen Mut. Wir haben gar nicht darüber nachgedacht.

Ich muss nicht enorm mutig sein, um mir selbst zuzuhören, mir zu folgen und mich damit für mein ganz eigenes Leben, meinen Weg, für das, was mich ruft, aber auch für oder gegen bestimmte Menschen zu entscheiden. Es sollte selbstverständlich sein, mir selbst zu trauen und dieses Urvertrauen nicht von äußeren Einflüssen oder Meinungen zerschlagen oder anzweifeln zu lassen. Sicher muss ich manchmal dafür meine einst selbsteingerichtete Komfortzone verlassen. Es ist auch möglich, dass ich Menschen, die bei mir waren, dadurch verliere, dass ich entgegen ihren Vorstellungen handle. Und vielleicht fall ich mit meinem Bauchgefühl auch gehörig auf die Nase. Aber all das werde ich nur erfahren, wenn ich es ausprobiere und mich dem enormen Zug in mir drin endlich hingebe.

Dass Schrammen verheilen und Schmerz irgendwann verblasst, habe ich als Kind bereits gelernt. Egal, wohin mich mein sogenannter Mut führt; wichtig bleibt, dass ich mich wohlfühle und für mein eigenes Ja oder Nein niemandem eine Erklärung schulde.

Die Hauptsache ist, es (mein Leben) fühlt sich für mich, nur für mich, geil an!

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