Vergangenen Samstag war wieder Familientreffen. Alle ein bis zwei Monate sitzen mehrere Generationen zusammen, um einen schönen Tag oder Abend miteinander zu verbringen. Auch diesmal freute ich mich darauf, meine Tante, meine Kinder, Geschwister, Cousin, Cousine, Neffe, Nichte, mittlerweile auch Großneffen… alle mit Partner oder ohne, zu treffen. Aber dieser Abend endete für mich mit einem bitteren Nachgeschmack.
Zurzeit hat die Familie scheinbar Spaß daran, mich immer wieder auf mein baldiges Oma-Werden anzusprechen. Über all meine zukünftigen Pflichten wurde ich ja in den letzten Monaten zu Genüge belehrt. Am Samstag kam eine weitere dieser sogenannten Oma-Pflichten dazu. Das Sparbuch! Eine gute Oma richte mit Geburt des Kindes sofort ein Sparbuch für dieses ein, auf welches sie monatlich ihren Beitrag für die Zukunft dieses neuen Lebens leistet. Aha! Das tut also eine gute Oma? Ich fragte in die Runde, weshalb ich denn einem Kleinkind regelmäßig Geld schenken sollte. Man erklärte mir, wie wichtig es sei, dass das Kind dann zu seinem 18. Geburtstag genug Geld für eine erste Wohnung, ein erstes Auto oder ein angehendes Studium hätte. Außerdem wäre so ein Sparbuch ideal, damit das Kind sein Geld, welches die Familie ihm zu Geburts- und Feiertagen schenkt, anlegen kann. Geld! Sie rechneten sogar die Summe aus, die meiner Enkeltochter dann bei Volljährigkeit zur Verfügung stehen würde, selbst, wenn ich nur minimale Beträge einzahle. Ich war erschrocken und wehrte mich zunächst noch vehement gegen diese Argumente.
Hatte eigentlich jemand gehört, dass ich ein paar Minuten vorher sagte, wie sehr ich mich darauf freue, mit der Kleinen später draußen unterwegs zu sein? Hatte jemand verstanden, dass ich lieber mit meinem Enkelkind barfuß durch Gras laufen, die Sonne zwischen wippenden Baumkronen zwinkern sehen oder mit den Füßen am Ufer des Sees durchs Wasser stapfen möchte, statt nur monatlich eine Überweisung zu tätigen? Nein! Denn ich sprach von Zeit und Leben, sie aber von Geld und Kaufen. Und während die Anderen redeten, wurde ich irgendwann einfach nur still.
In die diskutierende Runde schauend, fragte ich mich: Wann genügen wir endlich einander? Wann genüge ich jemandem? War und bin ich überhaupt für einen anderen Menschen genug? Gab oder gibt es Jene in meinem Leben, denen es ausreicht(e), dass ich einfach nur ich bin? Ich weiß es nicht. Letztendlich sollte es mir wohl auch egal sein. Denn schließlich bin ich nicht hier, um irgendwem zu genügen. Es ist nicht meine Pflicht, ständig dem Druck der Erwartungen Anderer nachzugeben.
Auf keinen Fall bin ich eine Marionette, die nur dann gut genug ist, wenn sie sich nach dem Willen anderer bewegt. Ich bin hier, um mir selbst genug zu sein und mich bei dem, was ich geben kann, gut zu fühlen. Nur dann ist das, was ich verschenke, auch ehrlich.
Wem aber ein offenes Herz, gemeinsame Zeit, ein stilles Zuhören, liebevolles An- und Hinsehen nicht genügen, nur weil es kein €-Zeichen trägt, dem wird wahrscheinlich nie etwas genug sein. Jedoch bin ich für diese Unzufriedenheit nicht verantwortlich. Das ist niemand.
Allerdings fragte ich mich am Ende dieses Abends doch noch, ob meine Enkeltochter sich freuen würde, wenn sie mit 18 Jahren ein volles Sparbuch in der Hand hält und im Verwendungszweck der letzten Überweisung dann steht:
„Unsere verpasste gemeinsame Zeit, unsere fehlenden Umarmungen und unser versäumtes Lachen sind hiermit bezahlt.“