Vorsicht, du vereinsamst!

Meine Tochter schrieb diese Woche: „Muddi, wenn du so weiter machst, vereinsamst du.“ Ich musste ein wenig grinsen, weil dieses Vereinsamen sich von ihr so traurig und unglücklich las. Wie soll ich ihr erklären, dass es das nicht ist?

Ich wurde diese Woche von Ordnungshütern im Schlossgarten unserer Stadt angehalten. Mir wurde befohlen, vom Fahrrad zu steigen, weil das Radfahren auf genau diesem Weg verboten wäre. Ich wohne mein ganzes Leben schon hier und bin immer diese Kieswege an den Kanälen vorbei, unter den wachsamen Augen der Reiher am Ufer, entlang geradelt. An diesem Abend gegen 19.30 Uhr war niemand im Park. Kein Mensch, kein Hund, niemand. Ich kam vom See und genoss diese menschenleere Weite. Aber diese beiden Herrschaften verboten mir das, was mir gerade so viel Freude bereitete. Auf mein Warum war die Antwort, dass diese Regelung eben in der Parkordnung stehe. Ich wollte nicht wissen, wo es steht, sondern wen ich hier wohl ohne Lärm, ohne Abgase, dazu im zweiten Gang meines alten Damenrades und mutterseelenallein stören würde. Die gleiche Antwort: „Es steht eben in der Parkordnung.“ Ich musste das Rad schieben, bis ich aus dem Schlossgarten heraus war. Die beiden braven, gehorsamen, ihren Dienst tuenden Uniformierten achteten exakt darauf, dass ich nicht wieder aufstieg.

Vor einigen Wochen ging ich mit Begleitung in den Supermarkt. Bei tropischen Temperaturen stand diesem nicht der Sinn nach Schuhen. Sofort echauffierte sich eine Mitarbeiterin mit einer Kundin ganz fürchterlich, dass dieser Mann barfuß einkaufte. Schließlich wäre das verboten. Sorry, ich hatte kein Verbotsschild am Eingang bemerkt. Zudem hatte ich genau gesehen, dass er den Käse mit den Händen aus dem Kühlregal geholt und auch nicht mit den Füßen im Brötchenrondell nach Backwaren geangelt hatte. Wozu also die Aufregung?

Ich liebe die Ostsee. Es gibt für mich nichts schöneres, als stundenlang nur auf die Wellen und den Horizont zu schauen. Vor kurzem wurde ich spontan mit einem Ausflug dorthin überrascht. Aber vor dem ersten Sandkorn des Strandes rekelte sich schon so ein gieriger Gebührenautomat. Ich sollte Geld bezahlen, um das Meer zu sehen? Kann nicht ernst gemeint sein? Gutmenschen erklären mir natürlich, dass das nötig ist. Von den Geldern wird schließlich der Strand sauber gehalten. So, so, sauber? Ich hinterlasse nichts an so einem Strand, außer eventuell meine Fußspuren. Jeder Papierzipfel und jede gerauchte Zigarettenkippe wird von mir wieder mitgenommen. Ich darf also nicht das Wasser an meinen Füßen spüren, nicht das Salz in der Luft schmecken und auch nicht den Duft der See einatmen, wenn ich keinen Euro dabei habe? Ich darf dem Leben dieser Erde also nicht zu nahe kommen, wenn ich nicht bereit bin, dafür zu zahlen!

Nach einer fröhlichen, bis in die frühen Morgenstunden andauernden, Familienfeier im angemieteten Vereinshaus einer Schrebergartenanlage letzte Woche, regten sich die spießigen, ihre Gemüsebeete akurat ausmessenden, jeden wild wachsenden Grashalm sofort entsorgenden Gartenbesitzer unheimlich auf, dass wir zu lange und zu laut ihre Rentneridylle gestört hatten. Hey, wir haben uns nicht geprügelt oder lautstark beschimpft. Wir waren lustig, haben gelacht und Spaß gehabt! Nur weil ihr das nicht mehr so lebt, weil ihr euch ja so vorbildlich an eure Schrebergarten-Verordnung haltet, fühlt ihr euch von unkontrollierter Leichtigkeit und Fröhlichkeit gestört?

Nein, ich verstehe die Welt nicht mehr. Jede Natürlichkeit muss scheinbar immer irgendwie von irgendwem unterbunden werden, jede Freude sofort im Keim erstickt. Die winzigste Freiheit, die man sich noch nehmen kann, wird unverzüglich geahndet. Selbstverständlich ziehe ich mich so oft wie möglich zurück, denn dort wo keine Menschen sind, kann mir auch kein Mensch etwas verbieten oder mich reglementieren. Ich habe diese Borniertheit und diesen gesellschaftskonformen Starrsinn manchmal so satt.

Ja, und dann bin ich oft allein. Aber glaub mir, niemals bin ich dabei einsam. Dort wo ich mich gerne aufhalte, tobt das Leben. Die Vögel kreisen abends über der vom Sonnenuntergang glitzernden Wasseroberfläche, Familie Schwan stellt mir ihren Nachwuchs vor, während sich im Schilf Frau Ente lautstark gerade ihren Mann zur Brust nimmt. Und die Musik in meinen Kopfhörern scheint Miss Libelle auch zu gefallen. Würde sie sich sonst so dicht zu mir ins Gras setzen? Dazu schwingen die Baumkronen im Wind ihre Hüften, wenn mir die Sonne durch die wippenden Blätter zuzwinkert und die Wolken witzige Figuren an den Himmel zaubern.

Vielleicht verstehst du mich jetzt, aber vielleicht auch nicht und du hälst mich für verrückt, gleichgültig oder ignorant dieser Gesellschaft gegenüber. Keine Sorge, ich nehme schon noch dran teil. Allerdings nur noch aus einer mich umgebenden Seifenblase heraus. Ich kann sehen und ich kann hören, aber zu mir dringt all dieser Blödsinn nicht mehr heran. In meiner glasklaren, schillernden Hülle ist es so herrlich ruhig, selbst dann, wenn dort draußen der Sturm des Irrsinns tobt.

Denn nicht ich bin gleichgültig, instabil, unzufrieden, verbittert, ignorant oder einsam.

Ich bin einfach nur für mich allein…

… mit meiner Musik, die scheinbar auch Miss Libelle still grinsend mit mir versteht.

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