Liebe ohne Gesicht

Ich habe von dir geträumt.

In jenem Traum war ich allein unterwegs, irgendwo. Ich weiß nicht mehr, wohin ich ging und was mein Ziel war. Aber mittendrin in diesem Traum spürte ich dich auf einmal neben mir. Woher du plötzlich kamst und wohin du wolltest, interessierte mich nicht. Du warst ganz dicht bei mir, so dass ich dein leises Atmen hören konnte. Ich mag es nicht, wenn fremde Menschen mir so nah sind. Bei dir war es allerdings anders. Ich schaute dich nicht an, sondern fühlte dich nur und es war vollkommen okay. Ich blieb auch nicht stehen, sondern ging weiter durch diese Nacht, diesen Traum, und du gingst mit mir. Deine warme Hand umfasste irgendwann meine kalte und ließ sie nicht mehr los. Ich drehte mich immer noch nicht zu dir um, weil ich mir so sicher war, dass ich dich bereits kenne. Neben dir fühlte ich mich so geborgen, so vertraut und so stark. Du bliebst bei mir, egal, welche Richtung ich einschlug. Dabei liefst du nicht voran oder trottetest hinter mir her. Nein, du gingst immer neben mir, auf meiner Höhe, so, als wolltest du mich lediglich begleiten, damit ich nicht allein durch diese dunkle Nacht wandle.

Als ich stehen blieb und mich dir zuwenden, dich sehen wollte, nahmst du mich in den Arm. Ich schloss die Augen und ließ es geschehen. Ja, ich war mir sicher, dass ich diese starken Arme schon einmal um meinen Körper gespürt hatte, dass ich den Takt des Herzens, welches jetzt so nah an meiner Brust schlug, schon kannte. Du warst still, kein Wort sprachst du mit mir. Und auch ich sagte nichts zu dir. Das war auch nicht nötig. Wir verstanden uns wortlos und schienen uns überhaupt nicht fremd zu sein. Ich fühlte deinen Blick, der meinen suchte und hob endlich den Kopf, um dich anzuschauen. Aber da war nichts zu sehen, nur die verschwommene Silhouette eines Kopfes, jedoch keine Augen, kein Mund,… du hattest gar kein Gesicht. Obwohl ich dich nicht erkennen konnte, erschrak ich nicht. Es war nicht wichtig für mich. Ich fühlte mich so wohl mit dir, dass ich meine Hand wieder in deine gleiten ließ, bevor wir weiter durch diese Nacht und diesen Traum schwebten… solange, bis der Wecker mich aufschreckte.

Nun trage ich seit zwei Tagen lächelnd diesen Traum mit mir herum. Er geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Was war das? Das ist doch verrückt! Es gab dich gar nicht und trotzdem vermisse ich dich. Deine Nähe hatte scheinbar meine Seele ganz vorsichtig und zärtlich gestreichelt. Du hattest ein wenig Holz auf das nur noch glimmende Flämmchen in meinem Herzen gelegt und es damit wieder zum Lodern gebracht. Durch dein stummes Dasein gabst du mir eine Nacht lang das Gefühl, nicht allein zu sein und dass da jemand ist, der mich festhält, wenn ich im Dunkeln zu stolpern drohe, der mich mit seiner ehrlichen Liebe wärmt, wenn ich friere. Ich weiß nicht wer du warst. Und doch wünsche ich mir nun jeden Abend, wenn ich im Bett liege und dabei noch ein Weilchen aus dem Fenster in den schwarzen Himmel schaue, dass du zurückkommst und mich wieder auf meinem Weg durch die Nacht begleitest. Du bist bisher nicht wieder aufgetaucht.

Aber wer weiß, vielleicht überrascht du mich eines Tages im Licht. Eventuell wirst du mir irgendwann in meinem Alltag begegnen. Ich werde dich dann nicht an deinen Augen oder deinem Gesicht erkennen können. Auch deine Stimme wird dich nicht verraten, weil du in meinem Traum ja nicht mit mir gesprochen hast. Aber ich weiß, dass ich dich fühlen werde, wenn du da bist. Deine Nähe wird mich nicht anwidern oder erschrecken. Ich werde mich darin wohlwollend rekeln und ausruhen können. Wenn deine Hand meine berührt, werde ich die vertraute Wärme wieder spüren und mich an dich erinnern. Und bitte, umarme mich dann ganz fest. Denn, wenn mein Körper mit deinem Herzschlag vibriert, weiß ich, dass du mich gefunden hast.

Bis dahin freue ich mich darauf, in deine Augen zu schauen; Augen, welche mich wirklich sehen können und die jedes Wort überflüssig machen.

Ich warte einfach bis die Liebe dieses Traumes ein Gesicht bekommt.

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