Wir haben uns ein wenig unterhalten. Du hast von dir berichtet und dann habe auch ich von mir erzählt. Nach meinem aktuellen Sachstandsbericht wirfst du ungefragt deine Beobachtung in den Raum. Deine Diagnose lautet: Fehlende Selbstliebe! Ein wenig muss ich darüber schmunzeln und mich fragen, wie du darauf kommst. Ich sollte dir meine vorhandene Selbstliebe erklären, damit auch du sie sehen kannst.
Vielleicht hast du recht und ich sollte mir hin und wieder mal etwas Gesundes und Nahrhaftes kochen. Das vernachlässige ich gewaltig. Es bedeutet jedoch nicht, dass ich meinen Körper oder mich nicht ausreichend liebe, dass ich mir egal bin. Nur, das ewige Einkaufen, Vorbereiten, Schnippeln, Kochen und Braten macht für mich wenig Sinn, weil ich danach nur mit der Küchenwand als Gegenüber allein am Tisch sitze. Und die viele Zeit, um den Ort des Geschehens danach wieder zu bereinigen, ist mir aus demselben Grund zu schade. Es ist meine Art von Selbstliebe, wenn ich mir ein gekochtes Ei, ein Wiener Würstchen, ein Käsebrot mit einer Tomate oder was der Kühlschrank spontan noch so hergibt, nach der Arbeit schnappe und mein Abendessen total unkompliziert an diesen herrlichen Sommerabenden draußen am See auf meiner Picknickdecke zu mir nehme… Mit Wind, Sonne und Wasser; vor mir schnatternde Enten und über mir die fliegenden Wildgänse.
Du sagst auch, ich würde mich nicht genug selbst lieben, weil ich mich sehr gerne bei neuen Begegnungen hinter meinem gottlosen Mundwerk verstecke. Derber Humor und Sarkasmus würden andere Menschen verschrecken. Wenn ich mich lieben würde, hätte ich so ein Schauspiel nicht nötig. Das ist Quatsch! Ich liebe mich mit meinen Humor und kann sogar am meisten über mich selber lachen, weil ich mich nicht so ernst nehme. Wenn ich aber merke, dass ein anderer Mensch damit ein Problem hat, nur, weil er sich selbst für so ungemein wichtig hält, dass Humor auf der Strecke bleibt und sein Leben ein total ernstes Dilemma ist, passt er eben nicht in mein Leben. Und warum sollte ich dann Nähe zulassen, die irgendwann irgendjemandem weh tun könnte? Ich schütze mich selbst, weil ich mich liebe. Und wer mich aushält, in meiner Nähe bleibt und nicht nur an sich, sondern auch an mir interessiert ist, wird dann beizeiten das von mir zu sehen bekommen, was nicht sofort an der Oberfläche zu finden ist.
Fehlende Selbstliebe erkennst du, so wie du sagst, ganz deutlich auch darin, dass ich im World Wide Web über mein Leben schreibe und mir darüber Aufmerksamkeit hole, die ich mir selber nicht geben könne. Ich schreibe nicht über MEIN Leben. Ich schreibe über DAS Leben. Allerdings so, wie ich es erfahre. Weißt du, bei jedem Wort, das ich in die Tastatur tippe, gehe ich mit mir sehr aufmerksam und liebevoll um. Ich lasse mich dabei nicht von äußeren Umständen ablenken, sondern drücke mich, mein Fühlen, mein Empfinden und Wahrnehmen ziemlich ehrlich aus… meine Freude, mein Staunen, meine Traurigkeit… Alles das liebe ich nämlich an mir, es gehört eben zu mir. Und ich denke, dass ich genau das, was ich Verrücktes mit diesem Leben (er)lebe, ruhig mit anderen Menschen teilen kann. Menschen, die genauso fühlen, die mich verstehen können und die mir mit ihren Reaktionen so großartiges Feedback geben. Ich liebe das Schreiben und somit auch die, die da schreibt.
Zum Schluss reden wir über Herzensangelegenheiten. Für dich ist es eindeutig, dass ich mich nicht selbst ausreichend liebe, weil ich meine Liebe dorthin verschenke, wo sie deiner Meinung nach nicht gewollt ist. Ja, jemand hat mich erst fest umarmt und dann von einem Moment auf den anderen ohne ein Wort weggestoßen und stehen gelassen. Dass ich nach so langer Zeit hin und wieder doch noch weine, immer noch vermisse und auch noch so doll liebe, ist für dich ein Zeichen für mangelnde Selbstliebe. Denn sonst müsse ich keinen Gedanken mehr an diesem Menschen verschwenden und würde ihn vergessen. Was denkst du eigentlich, wenn ich dir erzähle, dass ich machmal ein Hochzeitskleid aus dem Schrank hole und anziehe, um dann wie eine Braut prinzessinnenlike zu wunderschöner Musik durch die Wohnung zu tanzen und danach (ich gebe zu, weniger schick) damit auf dem Balkon, ungesehen in der dunklen Nacht, eine Zigarette zu rauchen? Was, wenn ich dabei lächelnd und trotzdem mit Tränchen so gerne daran zurückdenke, wie wir lachend unsere total irre und vollkommen unkonventionelle Hochzeit geplant hatten? Findest du das verrückt? Hey, das ist meine Selbstliebe, mein Freund. Ich liebe mich dafür, dass ich noch träumen kann, dass ich gerne daran zurückdenke, dass ich den Mut habe, mit mir und den Erinnerungen zu spielen, auch dass kein Ereignis mir diese großartige Erfahrung nehmen kann. Ich liebe die Schmetterlinge, die immer noch in meinem Bauch wild herumflattern, weil sie mich auch heute noch mit sich fliegen lassen, selbst, wenn dieses Fliegen manchmal weh tut. Ich liebe mich für meine anhaltende Loyalität und meine Liebe, die einfach in mir geblieben ist, egal, was du dazu behauptest oder irgendwer schlecht redet. Ich bin diese Liebe und die liebt auch sich selbst genug, um so ein Gefühl aushalten zu können.
Es gibt für meine Selbstliebe keine Definition oder Anleitung. Keine allmorgendliche Affirmation kann mir suggerieren, wie Selbstliebe zu funktionieren hat, auch nicht deine festgefahrene Ansicht davon. Ich denke, jeder, der isst, worauf er gerade Lust hat, jeder, der von sich zeigt, was er zeigen möchte, jeder, der tut, was sich für ihn gerade gut anfühlt und auch jeder, der liebt, wie es für ihn richtig scheint, lebt in Selbstliebe. Wer sich mit seinem Lachen, Weinen, Nachdenken und vielleicht auch seinen Sinnlosig- und Unwichtigkeiten wohl fühlt und damit authentisch ist, kann sich nur selbst lieben.
Geh dorthin, wo Menschen Dinge tun, die sie eigentlich nicht tun wollen. Schau dahin, wo Menschen sich verbiegen und verstellen, um Anderen zu gefallen, dabei jedoch chronisch unzufrieden sind und sich in ständigem Selbstmitleid auflösen. Predige dort von deiner Selbstliebe, wo man sein wirkliches Sein nicht mehr lebt, weil man es nicht liebt. Aber mich verschone davon, denn ich liebe mich selbst genug für alles, was mich ausmacht. Ich bin die, die liebt…
… sowohl meine eigene Unperfektheit, das mich ständig überrumpelnde Leben und auch diese großartige Liebe an sich.