Lauter sein als die Liebe

Es ist so schön, hier zu sitzen, wo sich die Sonne tausendfach als funkelnde Sternchen im See spiegelt. Du sitzt dabei, bei mir, und ich sage dir, dass du dich verändert hast. Aber während ich es auspreche, fällt mir auf, dass vielleicht ich mich verändert habe und gar nicht du. Ich bin anders geworden, weil ich zu dir anders sein wollte.

Wir sind so lange und so weit merkwürdige Wege gegangen, manchmal zusammen, aber meist in unterschiedliche Richtungen. Dabei wünschte ich mir dich so oft genau an diesen Ort. Nun sitzen wir gemeinsam hier und haben Spaß an dem, was ist und Freude an uns. Wir können reden, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Wir lachen über uns selbst. Wir planschen im frühlingskalten Wasser wie Kinder und trinken ausgelassen Wein aus Plastikgläsern. Wir hören Musik vom Handy und während ich verkehrt mitsinge, wippen wir zwei dazu vorsichtig mit den Hüften, damit die alten Rücken auch ja nicht meckern. Wir spinnen Geschichten, die wir noch zusammen wahr machen wollen, ohne zu wissen, ob wir sie wirklich irgendwann umsetzen werden. Wenn wir im Sonnenuntergang nebeneinander mit den Rädern heimfahren, lassen wir das phantastische Abendlicht schweigend auf uns wirken, genauso wie diese Vertrautheit, die sich scheinbar zwischen uns eingeschlichen hat.

Jetzt gerade ist alles so einfach geworden, obwohl es doch mal viel schwieriger mit uns war, jedenfalls für mich. Wurde es anders, als ich aufhörte, über Liebe zu reden? Wurde es zwischen uns leichter, seit ich mir jegliches Wort über Gefühl verbot? Ja, ich habe mich vor einiger Zeit an die Lösung einer Aufgabe gewagt, die ich mir selbst gestellt habe. Bis dahin habe ich dir viel zu oft gesagt, was mein Herz schreit und mein Bauch fühlt, auch welche Gedanken du in mir auslöst. Aber irgendwann habe ich mich entschlossen, damit aufzuhören. Kein Wort über Gefühl oder Liebe und keine meiner Gedanken sollen mehr bei dir ankommen. Ob all das nun verschwunden ist?

Ich weiß nicht, ob du es merkst, wenn ich ein Stück von dir wegrutsche, sobald du dich neben mich setzt, ob du spürst, wie ich einen Schritt beiseite gehe, wenn du dich zu mir stellst. Weißt du, weshalb ich mich nach einem langen Abend, wenn ich bei dir übernachte, in deinem Bett auf die äußerste Bettkante rolle? Wenn ich dich zu nah spüre, ist mein Herz so laut. Wenn ich dir zu lange in die Augen schaue und dir zuhöre, schreit mich meine Liebe an. Und dann muss ich lauter sein, als dieser tosende Lärm in mir. Das sind die Momente, in denen ich mehr lache, ununterbrochen rede oder eben total falsch zur Musik mitsinge, nur, damit ich vor dir nicht wiederhole, was mein Herz und meine Seele mir soufflieren. Ist es falsch, all diese Dinge für sich zu behalten? Ich weiß es nicht. Aber seitdem ich mich entschied, dich nicht mehr wissen zu lassen, ob und was ich noch für dich empfinde, lernen wir uns ganz anders kennen und haben dadurch ausgelassene und wunderbare Momente, die ich nicht dadurch aufs Spiel setzen möchte, indem ich dem Gefühl nochmals ein Sprachrohr reiche.

Vielleicht ist es auch eine Form von Liebe, sich selbst zurückzunehmen und das Gefühl, welches vom Gegenüber nicht genauso gefühlt werden kann, für sich zu behalten, um dieses wunderbare Zusammensein nicht dadurch zu komplizieren. Eventuell ist es immer noch Liebe, wenn ich manchmal für einen winzigen Augenblick still dasitze, und dem Gesang meines Herzens kurz zuhöre, nur um mich zu vergewissern, dass er noch nicht komplett verstummt ist. Wenn meine Liebe jedoch wieder zu laut wird und schreit, dann muss auch ich erneut noch lauter werden als sie, damit sie nicht ungewollt durch mich zu dir spricht. Glaub mir, das ist manchmal gar nicht so leicht.

Und sollte diese Liebe in mir eines Tages still geworden sein, wirst du es gar nicht bemerken, weil ich dich ihre Stimme schon lange vorher nicht mehr hören lassen habe, nur, um ihr keine Chance zu geben, uns zu nehmen, was ohne ihre Worte doch wunderschön war und mich dabei stumm so viel tiefer berührt und bewegt hat.

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