Der Versuch, wegzulaufen

Ich sitze so gerne bei dir. Ich höre dir gerne zu. Ich rede gerne mit dir. Ich schweige aber auch gerne mit dir, wenn Worte nicht nötig sind. Ich liebe eben deine Nähe.

Aber nun musste ich los. Einfach raus und laufen. Ich konnte nicht mehr bei dir sitzen bleiben, weil diese dämlichen Schmerzen gerade nicht auszuhalten waren. Ich konnte dir nicht mehr zuhören, weil der Motor in meiner Brust wieder mal so sehr ruckelte und stolperte. Ich wollte nicht mehr reden, weil ich einfach nicht über mich reden wollte.

Und nun laufe ich langsam, die Schuhe in der Hand, durch die Wellen, die gegen meine Beine schlagen. Will nichts hören, außer die viel zu laute Musik aus den Kopfhörern. Mein linkes Bein knickt im weichen Sand weg, weil es mich manchmal eben nicht mehr hält. Dazu mein treuer Freund, der stechende, unerträgliche Schmerz im Rücken. Aber ich laufe weiter, auch, damit ich das ungleichmäßige und holpernde Pochen in meiner Brust nicht mehr spüren muss. Ich laufe gerade vor dir, vor mir und vor all dem weg.

Du bist so glücklich an diesem Ort. Ich kann es in deinen Augen sehen und in deinem tiefen Atmen hören. Und ich weiß, dass es umgekehrt genauso ist. Dafür brauchen wir nicht reden und ich möchte, dass es für dich gerade jetzt so bleibt.

Deshalb laufe ich ohne dich den weiten Strand entlang. Und ich weine auch allein, während mich der jetzt einsetzende Regen umarmt. Zum Glück vereint sich jede Träne sofort mit den Regentropfen und fließt augenblicklich ungesehen fort. Ich weine, während ich immer weiter gehe, wegen der Schmerzen, wegen des Stolperns in meiner Brust, aber auch, weil ich mich frage, wie oft meine Beine mich diesen wunderbaren Weg durch die Wellen noch unbeschwert gehen lassen werden. Ich weine die Traurigkeit einfach heraus.

Wenn ich zurückschaue, sehe ich, wie die nächste Welle meine Fußspur im Sand packt und mit sich zurück ins Meer zieht. Sie bleibt nicht. Sie ist unwichtig. Und genauso ist es mit meinen Schmerzen und meiner Angst. Sie sind unwichtig für andere und deshalb muss ich sie für mich allein aushalten.

Denn auch du musst deine Schmerzen und Ängste selbst ertragen. So verdammt gern ich es wollte, ich kann sie dir nicht nehmen. So, wie du mir meine nicht abnehmen kannst. Darum laufe ich einfach immer weiter im Regen.

Ich laufe all das gerade allein weg, weil ich möchte, dass deine Hand meine nur hält, um das Gefühl, das Glück und die Liebe zu diesem Moment mit mir zu teilen. Sie soll mich mit Freude dabei haben wollen und nicht, weil sie mich stützen, festhalten oder tragen muss. Ich werde es schon schaffen, mich selbst zu halten, denn das musste ich doch ohnehin schon mein ganzes Leben.

Wenn ich gleich vom Regen durchnässt zu dir ins Zimmer komme, werde ich lächeln, mich mit den verfluchten Schmerzen zu dir hinüberbeugen, um dir vielleicht einen Kuss auf die Stirn zu geben und zu fragen, ob es dir gut geht.

Aber bis dahin laufe ich weiter durch den Regen und das Meer. Ich laufe gegen die Schmerzen und die Angst, gegen meine, aber auch deine. Ich bekomme das schon hin…

… denn der Strand ist noch sehr lang.

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