Wenn alles nur ein Fake ist

Selbstverständlich hat man mich hervorragend auf das Leben vorbereitet. Da waren meine Eltern, Großeltern, eine große Familie, Kindergarten, Schule… Unmengen an Menschen, die mich gut erzogen und mir alles erklärt haben. Sie alle wussten genau, wie ich sein, mich verhalten und was ich tun müsse, um glücklich zu werden. Mir wurde erzählt, wie das Leben läuft und wie es funktioniert, wenn ich funktioniere. Und ich habe funktioniert.

Heute, mit fünfzig Sommern eigener Lebenserfahrung, frage ich mich, an welcher Stelle ich das prophezeite Glück wohl verpasst habe. Was ist denn überhaupt dieses Glück, was ich nach den Lehren der Alten verzweifelt suchte und nie wirklich fand? Und wie kam ich auf die dumme Idee, zu glauben, dass mir die unglücklichsten und unzufriedensten Menschen tatsächlich erklären könnten, wie mein Glück auszusehen hat? Ich habe ihnen vertraut und damit begann ein stetiger Kampf.

Ich kämpfte mit mir für Perfektionismus, inner- und auch äußerlich. Ich kämpfte um Anerkennung, um Dinge, von denen ich dachte, dass ich sie brauche und um Liebe. Dafür kämpfte ich übrigens am meisten. In Grunde genommen verzweifelte ich daran, dass meine Vorstellungen vom Leben, welche ja eigentlich ihren Ursprung nur in den Vorstellungen anderer hatten, sich nicht erfüllten.

Als ich bemerkte, dass die ganzen Vorhersagen und Ratschläge, welche man mir als junges Mädchen mit auf den Weg gegeben hatte, irgendwie nur immer mehr Leid in mir erzeugten, wechselte ich die Richtung. Vielleicht würde ich ja woanders, auf einem anderen Pfad, endlich diese hochgepriesene Glückseeligkeit finden. Ich begann mich in unterschiedlichsten Szenen umzuschauen. Erleuchtung wäre genial! Also begann ich mit Meditationen und belas mich über den Buddhismus. Ich verweilte zwischen Menschen, die nur von Licht und Liebe sprachen. Irgendwann tauchten dann Engel, Astrologen, die Nummerologie und Advaita auf. Ich verbrachte viel Zeit damit, das alles zu verstehen und wollte mich für eine Richtung entscheiden. Also kämpfte ich erneut. Ich kämpfte darum, die „Zustände“ der unterschiedlichen Gruppierungen zu erreichen. Dadurch oblag ich einem enormen Zwang. Ich wollte schließlich endlich reich, anerkannt, zufrieden, glücklich und geliebt sein. Das World Wide Web ist rappelvoll mit Gurus, Lehrern, Coaches und Trainern. Und was sie für großartige Sachen schreiben! Irgendjemand von ihnen würde mich schon zu dem vollkommenen Glück bringen.

Auf meinem neuen Weg musste ich allerdings feststellen, dass diese Menschen fanatisch an ihrem Glauben und ihrer Wahrheit festhalten und kein Abweichen in andere Richtungen akzeptieren. Denn schließlich gibt es für sie ja immer nur die eine, die einzige, nämlich ihre Wahrheit. Und diese lassen sie sich bekanntlich auch von Suchenden wie mir gut bezahlen.

Ich aber flatterte wie ein bunter Vogel zwischen ihnen hin und her und pickte mir dabei überall heraus, was sich für mich stimmig anfühlte. Doch auch dieser Weg wurde irgendwann anstrengend, denn ich wurde dadurch weder reich, noch besonders schlank und schön, nicht glücklicher und, verdammt noch mal, der Mann, der mich nur für mich selbst, so wie ich nun mal bin, liebevoll abends in den Arm nimmt, erschien auch nicht. Und inmitten dieser irrsinnigen Suche, sagte jemand den Satz: „Was, wenn alles nur ein Fake ist?“

Plötzlich hielt ich inne. Da war die Wahrheit! Sie traf mich wie ein scharfes Messer genau dort und genau dann, wo und als ich es brauchte.

Was, wenn nichts wahr wäre? Wenn all das, was man mir im Laufe meines Lebens einreden, verkaufen oder weismachen wollte, Humbug gewesen ist? Wenn ich selbst nichts weiß, woher schöpfen dann andere ihr Wissen? Mit welchem Recht trichtern sie mir ihre Wahrheit ein?

Ich ließ frei. Ließ den ganzen Quatsch aus Vorstellungen, Plänen und gesellschaftlich verordneten Reglemtierungen los. Übrig blieb am Ende lediglich ich. Nachdem ich den Mantel der Konditionierungen abgelegt hatte, war ich nackt. Und es fühlte sich so verdammt gut an. Irgendwie befreit. Plötzlich tat sich Raum für meine eigene Wahrnehmung, mein eigenes Fühlen, Empfinden und so unglaublich viel Liebe auf. Die Orientierungslosigkeit und Suche war abrupt vorbei. Vor allem war endlich der kraftraubende Kampf um irgendetwas oder irgendwen beendet.

Die Enge und Schwere der mir auferlegten Wahrheiten wich einem erleichterten und tiefen Auf- und Einatmen. Ich brauchte nichts mehr suchen, als ich so nackt vor mir selber stand. Alles war bereits da. Ich wurde mir selber genug. Frieden! Endlich! Es gab und gibt keine Löcher mehr, die ich durch Dinge oder Menschen füllen muss. Das bedeutet nicht, dass ich keine Wünsche oder Träume mehr habe. Die gibt es auf jeden Fall noch. Aber es verursacht keine inneren Tragödien und Unzufriedenheit mehr, wenn sie sich nicht erfüllen.

Das Wertvollste und Einzige, was ich wirklich besitze, ist meine ganz eigene Wahrheit geworden. Ich darf nun wieder meiner Intuition und meiner ureigenen Kraft vertrauen. Die Wege, auf die sie mich führen, sind manchmal für Außenstehende und sogar für mich nicht immer nachzuvollziehen. Das ist aber gar nicht schlimm, eher aufregend. Ich darf die Liebe so leben, wie sie sich für mich gut und richtig anfühlt. Überhaupt erlaube ich mir wieder zu lieben, was und wen ich will. Vor allem dieses phantastische Leben, egal, wie es sich gerade zeigt.

Denn, wenn wirklich alles nur ein Fake ist, muss ich nichts mehr glauben, befolgen oder suchen. Somit bleibt eine Menge Zeit für mich…

… einfach als Frau, einfach als Mensch.

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